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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Büro. Nur sehr selten ließ er sich gefühlsmäßig in einen Fall hineinziehen, aber diesmal war es anders. Lag es an der unerwarteten Konfrontation mit einer Vergangenheit, die er für abgeschlossen gehalten hatte? Er hatte die halbe Nacht wach gelegen und an Inka Hansen gedacht. Es widerstrebte ihm, dass er ihr durch die Verhaftung Kerstners Probleme bereiten musste, und er fragte sich, warum der Mann ein so eigenartiges Verhalten an den Tag legte. Bodenstein wusste bisher noch zu wenig über das Umfeld von Isabel, um zu wissen, wo er den Hebel ansetzen musste, aber er war zuversichtlich, dass sich das bald ändern würde. Die Arbeit als Kriminalbeamter war selten so spektakulär, wie es das Fernsehen häufig darstellte, im Gegenteil, meistens war sie ermüdend und unerquicklich, aber es war faszinierend mitzuerleben, wie sich durch das Zusammentragen und Auswerten von Informationen ein Bild herauskristallisierte, das, wenn sie Glück hatten, das Antlitz des Täters zeigte. Bodensteins ehemaliger Chef hatte einmal gesagt, um ein guter Polizist zu sein, müsse man wie ein Verbrecher denken können, und damit hatte er nicht ganz Unrecht. Die Fähigkeit, sich in die Lebenssituation bis dahin völlig fremder Menschen hineinversetzen zu können, war genauso wichtig. Unwillkürlich wanderten Bodensteins Gedanken wieder zu Inka Hansen.
    Du weißt ja, wo du mich findest... Vielleicht sollte er noch einmal in die Klinik fahren und versuchen, ihr bei einer Tasse Kaffee mehr Informationen über Kerstners Privatleben zu entlocken. Nein, das war Unsinn. Der Grund, weshalb er Inka gerne wiedersehen wollte, hatte mit Kerstner und seinem Fall rein gar nichts zu tun. Es klopfte an der Tür, und Bodenstein schreckte aus seinen Gedanken hoch.
    »Ja!«, rief er, und die Tür ging auf. Eine Frau trat ein, und Bodenstein konnte nicht verhindern, dass er sie unhöflich anstarrte. Es war schwer zu beurteilen, ob sie hübsch oder hässlich war, denn ihr Gesicht war völlig verschwollen und mit Blutergüssen übersät. Auf dem linken Wangenknochen war eine frische Naht zu sehen, die Haut um die Wunde war violett verfärbt.
    »Hauptkommissar Bodenstein?«, fragte sie mit leiser Stimme.
    »Der bin ich«, Bodenstein kam hinter seinem Schreibtisch hervor, als die Frau plötzlich zu schwanken begann und in die Knie ging. Geistesgegenwärtig fing er sie auf und setzte sie auf einen der Stühle.
     
    Pia schlenderte über den Parkplatz, auf dem mehr Autos standen als am Vortag. Vorhin, auf dem Kommissariat, hatte sie Behnke erklärt, weshalb sie ihm am Vortag die ungeliebte Obduktion abgenommen hatte. Er sollte sie nicht für eine Schleimerin halten, die sich beim Chef beliebt machen wollte. Während sie die anderen Kollegen freundlich in ihrem Team begrüßt hatten, behandelte Behnke sie abweisend, ja, beinahe feindselig. Vielleicht würde das ja nun besser werden, immerhin hatte er sich bei ihr bedankt. Pia ging in Richtung Reitplatz. Frau Kampmann trug an diesem Morgen eine hautenge weiße Jeans, dazu ein Lycra-Oberteil mit Leopardenmuster. Der Goldschmuck war derselbe wie am Vortag,und ihr Haar war wieder raffiniert hochgesteckt. Pia, die ihr Haar meistens nur zu einem Pferdeschwanz band und außer Eyeliner kein Make-up benutzte, überlegte, wie lange Frau Kampmann morgens wohl brauchte, bis sie sich ähnlich sah. Sie saß mit zwei anderen Frauen an einem Tisch unter einem Sonnenschirm auf dem Rasen hinter der Reithalle. Vor ihnen standen Kaffeetassen, eine Kaffeekanne und ein Teller mit frischen Croissants.
    »Hal-/o-ho!«, flötete sie, wobei die Betonung auf der zweiten Silbe lag, sie sprang auf, wedelte mit ihren Händen in Richtung der Gartenstühle wie die exaltierte Gastgeberin einer vornehmen Gartenparty. »Wollen Sie einen Kaffee trinken? Oder vielleicht etwas anderes? Bitte setzen Sie sich doch.«
    »Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Pia, »aber ich wollte nur kurz mit Ihrem Mann sprechen.«
    »Oh, mein Mann ist sehr beschäftigt«, Frau Kampmann verzog kummervoll das Gesicht. Pia fragte sich, ob sich die Frau immer so übertrieben benahm. Sie stellte sich den beiden Damen vor und bemerkte die unverhohlene Neugier, die ihnen ins Gesicht geschrieben stand. Ganz sicher hatte sich die Neuigkeit von Isabel Kerstners Ableben in Lichtgeschwindigkeit im ganzen Reitstall verbreitet. Sabine Neumeyer und Renate Groß, beide etwa Anfang fünfzig, hatten jeweils eine Tochter im Teenageralter und Pferde, die von diesen

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