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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Antwort. Noch die makellose Schönheit der toten jungen Frau vor Augen, war Pia beinahe verblüfft darüber, wie unscheinbar ihr Bruder war. Er war untersetzt, hatte ein blasses Allerweltsgesicht, glatte, aschblonde Haare und trug eine antiquierte Hornbrille.
    »Sie kommen sicher wegen Isabel«, sagte er, nachdem Bodenstein sich und seine Kollegin vorgestellt hatte.
    »Ja, das ist richtig«, Bodenstein nickte.
    »Kommen Sie mit«, Dr. Helfrich öffnete die Schwingtürneben dem Verkaufstresen und bedeutete ihnen, ihm in das Hintere der Apotheke zu folgen. Sie gingen einen Flur entlang, in dem sich leere Verpackungen stapelten, und betraten ein altmodisch eingerichtetes Büro mit Holzregalen bis zur Decke. Apothekerflaschen aus dunklem Glas mit lateinischen Aufschriften, in Leder gebundene Wälzer, auf einer Anrichte eine komplizierte, aber ebenso altertümliche Apparatur, die an Chemiesäle aus den frühen Jahren des vorigen Jahrhunderts erinnerten. Der einzige Hinweis auf das Jahr 2005 waren ein moderner Flachbildschirm und ein Faxgerät.
    »Nehmen Sie Platz«, Helfrich wies auf die beiden Stühle und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er wartete, bis seine Besucher saßen.
    »Ich habe von Georg Rittendorf erfahren, dass Isabel tot ist«, sagte er dann. »Ich bin noch ganz erschüttert.«
    »Standen Sie und Ihre Schwester sich nahe?«, fragte Pia.
    »Nein, das nicht unbedingt«, erklärte Helfrich. »In Isabels Augen war ich ein langweiliger Spießer, und ich hatte nur wenig Verständnis für ihre Art zu leben. Der Altersunterschied zwischen uns war auch zu groß. Nach vier Fehlgeburten war Isabel ein Wunschkind. Meine Eltern haben sie nach Strich und Faden verwöhnt.«
    »Waren Sie deswegen eifersüchtig?«, hakte Pia nach.
    »Nein. Mir fehlte es an nichts. Meine Eltern waren großzügig.«
    Dr. Valentin Helfrich lehnte sich zurück. Er wirkte nachdenklich.
    »Was störte Sie am Verhalten Ihrer Schwester?«, wollte Bodenstein wissen.
    »Sie war eine hemmungslose Egoistin«, erwiderte Helfrich. »Und ich mochte die Art, wie sie mit anderen Menschen umgesprungen ist, nicht.«
    »Wie ist sie denn mit anderen Menschen umgesprungen?«, fragte Pia.
    »Gleichgültig«, Helfrich zuckte die Schultern. »Sie beurteilte Menschen nur nach ihrer Nützlichkeit. Isabel konnte sehr verletzend sein. Vor allen Dingen mein Schwager musste sehr unter ihr leiden.«
    »Weshalb hat sie ihn überhaupt geheiratet?«
    Diesmal antwortete Helfrich nicht sofort.
    »Ich weiß es nicht. Isabel hat nie über Konsequenzen nachgedacht, wenn sie etwas tat. Vielleicht fand sie es in dem Moment ganz lustig. Micha hat sie ja auch regelrecht angebetet.«
    »Dr. Kerstner hatte sich wegen Isabel von seiner Verlobten getrennt«, bemerkte Bodenstein.
    »Das stimmt«, Helfrich nickte. »Moni und er waren seit dem Studium zusammen, sie waren beide Tierärzte und auch gemeinsam in den USA. Auf dem fünfundsechzigsten Geburtstag meines Vaters ist Micha dann Isabel begegnet, und sie hat ihm derart den Kopf verdreht, dass er .«
    »Ja?«, fragte Pia, und Helfrich stieß einen Seufzer aus.
    »Zwei Monate nach der Geburtstagsfeier zog Moni bei Michael aus, weil Isabel schwanger war. Das sagt doch wohl alles.«
    »Und wie ging es weiter?«
    »Wie ging es weiter?«, Helfrich schürzte die Lippen. »Hochzeit. Kind. Meine Eltern waren glücklich und erleichtert, aber nicht sehr lange, denn Isabel ging schon bald nach der Geburt von Marie wieder auf die Pirsch.«
    »Wo ist das Mädchen jetzt?«, erkundigte sich Pia.
    »Da bin ich überfragt.«
    »Wo wohnte Ihre Schwester, nachdem sie ihren Mann verlassen hatte?«
    Helfrich richtete sich auf.
    »Keine Ahnung«, antwortete er. »Wie gesagt, wir hatten kein inniges Verhältnis. Sie ließ sich nur selten bei uns blicken.«
    »Wussten Sie, dass Ihre Schwester kurz vor ihrem Tod eine Abtreibung vornehmen ließ?« Bodenstein hatte sich diese Neuigkeit bis zum Schluss aufgehoben.
    »Eine Abtreibung?«, Helfrich wiederholte das Wort in einem beinahe fassungslosen Tonfall. »Nein, davon hatte ich keine Ahnung. Aber es wäre nicht das erste Mal gewesen.«
    »Sind Sie wirklich traurig, weil Ihre Schwester tot ist?«, fragte Pia. Die Miene von Dr. Valentin Helfrich verschloss sich augenblicklich.
    »Nein«, antwortete er zu ihrer Überraschung, »eigentlich bin ich traurig, weil sie ihr Leben so schamlos vergeudet hat.«

Dienstag, 30. August 2005
    Während Pia ein zweites Mal nach Gut Waldhof fuhr, ging Bodenstein in sein

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