Eine ungezaehmte Lady
wie sie trotz ihrer Handschellen in den Laden segelte, als ob er ihr gehörte. Er sah sich um. Hier gab es die üblichen Lebensmittel wie geräuchertes Fleisch, Zucker, Kaffee, Käse, Kräcker und getrocknete Früchte. Er sah außerdem eine große Auswahl an Kurzwaren wie Stoffe aus blau eingefärbter, ungebleichter oder karierter Baumwolle sowie Schnittmuster, Hüte für Männer und Frauen und einige Kleidungsstücke. Er warf einen Blick auf die Waffen und die Munition in einem der Schaukästen. Vielleicht würde er sich sogar den Luxus einer Zuckerstange mit Pfefferminzgeschmack gönnen.
Und wenn er schon hier war, könnte er sich auch gleich ein paar neue Klamotten besorgen. Er würde seine alten Sachen hier lassen und sich neu einkleiden. Das Leben mit Lady forderte in vielerlei Hinsicht einiges von einem Mann.
»Ich möchte das rote Kleid aus dem Schaufenster«, erklärte Lady und ging auf eine schlanke, dunkelhaarige Frau in einem blaukarierten Baumwollkleid zu.
»Sie haben einen guten Geschmack. Ich bin Mrs Kay Harris, die Eigentümerin. Sagen Sie mir, was Sie wünschen, und ich werde es Ihnen bringen.«
»Sie haben eine herrliche Auswahl hier.« Lady sah sich um. »Ich habe noch nie zuvor so viele Kleider gesehen.«
»Ich führe mehr Kleidung von der Stange als jeder andere Laden in dieser Stadt«, sagte Mrs Harris stolz. »Wenn Sie auf der Durchreise sind, kann ich auch etwas für Sie aus meinem Katalog bestellen, und Sie können es sich hier abholen. Natürlich berechne ich dann eine kleine Gebühr, und Sie müssten im Voraus bezahlen.«
»Gut zu wissen.« Lady lächelte. »Und sehr praktisch.«
»Wir sind in Eile«, warf Rafe ein und warf Lady einen finsteren Blick zu. »Ich dachte, du wolltest dir nur ein Stück Seife kaufen.«
»Das war bevor ich diese herrliche Ware gesehen habe.«
»Sir, möchten Sie auch etwas?«, fragte Mrs Harris. Sie hatte bereits einen Blick auf Ladys Handschellen und Rafes Kleidung geworfen, äußerte sich aber nicht zu dem Anblick, den ihre Kunden boten.
»Warum eigentlich nicht«, meinte Rafe. »Eine Jeans, ein Hemd und Socken.«
»Einen Hut?«
»Ja.« Er war es leid, dass ihm die Sonne auf den ungeschützten Kopf brannte. Diese verdammte Lynchmeute hatte seinen Lieblingshut zertrampelt. Es würde lange dauern, bis er einen neuen wieder so eingetragen hatte. Zumindest lag nur sein Hut im schlammigen Boden von Bend, und nicht er.
»Bevorzugen Sie eine bestimmte Farbe?«, erkundigte sich Mrs Harris und deutete auf einen Stapel karierter Hemden in verschiedenen Farben.
»Nein.« Mit einem Mal fühlte er sich wie ein Elefant im Porzellanladen und wollte so schnell wie möglich aus diesem Geschäft verschwinden. Einen Hut konnte er sich jedoch mitnehmen, ohne lang darüber nachdenken zu müssen.
»Blau«, erklärte Lady. »Und ein graues Hemd, eine dunkle Jeans und dazu ein graues Halstuch.«
»Ich will doch nicht aussehen wie ein Dandy«, protestierte Rafe. Er fragte sich allerdings, ob ein Hemd es wert war, darüber zu diskutieren, und beantwortete sich selbst die Frage mit Nein.
»Das wirst du schon nicht. Und die Sachen passen gut zu meinem roten Kleid.« Lady deutete auf die Damenwäsche. »Ich brauche auch noch ein Unterkleid, Unterhosen, ein Korsett und einen Petticoat für das Kleid.«
»Selbstverständlich.« Mrs Harris musterte Lady von oben bis unten. »Glücklicherweise tragen Sie eine Größe, in der ich alles vorrätig habe.«
»Gut.«
»Mit Verlaub, es war höchste Zeit, dass Sie zu mir gekommen sind, um sich neue Sachen zu besorgen.« Sie räusperte sich. »Brauchen Sie etwa einen Schlüssel für die Handschellen?«
»Den Schlüssel habe ich«, erklärte Rafe.
»Und er gibt ihn nur ungern her«, fügte Lady hinzu.
»Ich verstehe. Manche Männer wollen immer die Kontrolle behalten.« Mrs Harris nahm rasch das purpurfarbene Kleid aus dem Fenster, holte spitzenbesetzte Unterwäsche aus Musselin herbei und legte sie Lady vor, damit sie ihre Auswahl treffen konnte, während sie sich um die anderen Artikel kümmerte.
Rafe brummte in sich hinein, aber er wollte nicht betonen, dass Lady Handschellen trug, weil sie verhaftet war. Es war ohnehin offensichtlich, also sollten die Damen ihren Spaß haben. Er wollte Lady nicht bloßstellen, indem er auf der Wahrheit beharrte, aber er fragte sich, ob sie dann erröten würde.
Er probierte einige Hüte aus. Die meisten hatten die falsche Größe, waren zu auffällig, oder so schlecht verarbeitet, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher