Eine unheilvolle Begegnung
was ihn zum Verstummen brachte, ihn gleichzeitig jedoch vom Nachttisch fegte. Mit einem lauten Scheppern landete er auf dem Fußboden des Schlafzimmers. Stöhnend vergrub Sam ihren Kopf unter dem Kissen. Während ihrer Expedition war sie morgens immer freiwillig bei Sonnenaufgang aufgestanden, was auch daran lag, dass sie kaum noch auf dem unbequemen Feldbett liegen konnte. Außerdem hatte sie gelernt, dass es im Zelt nach Sonnenaufgang unangenehm warm wurde und an Schlaf sowieso nicht mehr zu denken war. Doch hier, in den weichen Tiefen ihres Bettes, hätte sie sich gerne noch einmal umgedreht und ein Stündchen weitergeschlafen. Sie rollte sich noch ein paarmal von einer Seite auf die andere, streckte sich, tätschelte Hugos dicken Bauch und schwang die Beine aus dem Bett. Einige Minuten saß sie auf der Bettkante, die Augen halb geschlossen. Die Bettdecke hatte sie eng um sich gewickelt, damit die kühle Luft nicht hineindrang. Seufzend ließ sie sie schließlich los und eilte durch das abgedunkelte Zimmer zu ihrem Kleiderschrank.
Die ganze Nacht hatten sie Alpträume gequält, an die sie sich noch zu gut erinnern konnte. Skelettierte Hände, die aus einem sandigen Grab nach ihr griffen, Kugeln, die in geschwollenes Fleisch drangen, und John, der versuchte, Sam zu erreichen. Sein Gesicht war eine verzerrte Maske, die sich langsam in den Allosaurus-Schädel verwandelte. Mit Mühe schüttelte sie die Erinnerung an ihre verworrenen Träume ab und ging ins Bad. Sie genoss es, nach so langer Zeit endlich wieder in Ruhe duschen zu können. Bedauernd drehte sie schließlich das Wasser ab, rubbelte sich schnell trocken und schlüpfte in Jeans und T-Shirt. Das Duschbad hatte eindeutig ihre Stimmung gehoben, auf dem Weg zur Küche pfiff sie leise vor sich hin. Die Melodie endete in einem Misston, als sie ihre dreckigen und blutbespritzten Schuhe im Wohnzimmer liegen sah.
Mit Macht brachen sich ihre Sorgen um John wieder Bahn. Ging es ihm gut? Hatte sein Freund ihm geholfen? Frustriert blickte sie auf ihre geballten Fäuste hinunter. Wenn sie doch etwas tun könnte oder wenigstens wüsste, dass es ihm gut ging, dann könnte sie ihr Leben einfach fortführen, als hätte es die Erlebnisse auf dem Colorado Plateau nie gegeben. Aber sie wusste im Moment weder vor noch zurück – ein Zustand, der ihr überhaupt nicht gefiel. Sie handelte lieber, als dass sie abwartete oder verdrängte. Deshalb nahm sie kurz entschlossen den Zettel mit der Telefonnummer, die John ihr gegeben hatte, aus ihrem Portemonnaie und wählte die Nummer.
Nach dem zweiten Klingeln hörte sie ein Knacken, dann folgte die Ansage eines Anrufbeantworters. »Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, ich rufe so bald wie möglich zurück.«
Nach dem Piepton räusperte Sam sich und sprach auf das Band. »Hallo, hier ist Sam. Wäre es möglich, dass Sie mich zurückrufen, damit ich weiß, ob es Ihnen gut geht? Danke.« Sie hinterließ ihre Telefonnummer und legte auf. Erst im Nachhinein überlegte sie, dass sie vielleicht ihren Namen nicht hätte sagen sollen. Andererseits gab es Tausende von Sams, dadurch konnte sie bestimmt nicht gefunden werden. Zurück blieb trotzdem ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube.
Nach einem eiligen Frühstück schwang sie sich in ihren alten Pick-up und fuhr zur Universität. Dort vergrub sie sich ein paar Stunden in ihrem Kellerverlies, wo sie in Ruhe ihre Kisten ausräumte und die Ausrüstung sortierte. Sie wollte erst mit den Fotos nach oben gehen, wenn sie sicher sein konnte, dass auch wirklich weitere Mitarbeiter anwesend waren und sie nicht wieder allein mit Professor Marsh sein würde. Noch einmal wollte sie nicht in eine Situation wie gestern geraten. Irgendwann gestand Sam sich ein, dass sie einem Treffen mit Marsh nicht länger ausweichen konnte.
Sie nahm die Bilder aus der Fototasche. Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie erkannte, dass auch die Aufnahmen von den beiden Männern, die John zusammenschlugen, dabei waren. Verdammt, eigentlich hatte sie John die Fotos als Beweise überlassen wollen. Sie konnte sowieso nichts damit anfangen. Vielleicht sollte sie später noch einmal unter Johns Nummer anrufen und ihn fragen, ob er die Fotos haben wollte. Sie legte sie in die unterste Schublade ihres Schreibtischs und schloss ihn ab. Zögernd stieg sie die Treppen hinauf.
Auf dem Weg ins obere Stockwerk begegnete sie ihrer Kollegin und Freundin Cathy. »Hi Sam, lange nicht gesehen! Ich habe schon von deinem großen
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