Eine unzüchtige Lady
Entweder ich zog mich vollständig zurück, oder ich machte mit ehrenvollen Absichten weiter. Ich kann dir nicht verhehlen, dass die zweite Möglichkeit mich heftig erschütterte. Als Isabella sich mir später näherte, habe ich noch immer versucht, mir einzureden, ich müsse keine Entscheidung treffen. Den Gedanken, mein Leben könne sich so grundlegend ändern, konnte ich mir nicht so leicht eingestehen. Ich bin nicht der erste Mann, der vor dem Gedanken an Liebe oder gar Hochzeit zurückschreckt.«
Hatte er - Derek Drake, der für seine Bindungsangst berüchtigt war - soeben die Worte Liebe und Heirat in einem Satz benutzt?
Außerdem erinnerte sie sich sehr gut an seinen Gesichtsausdruck, ehe er so überstürzt die Bibliothek verließ. Es gab durchaus die Möglichkeit, dass er ihr die Wahrheit sagte.
Er fuhr fort: »Ich vermute, ich habe geglaubt, ein kleines Zwischenspiel mit einer willigen Frau könnte mich von meinem anhaltenden Wahnsinn heilen.«
Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Es irritierte Annabel. »Hat es geholfen?«, fragte sie so kühl wie möglich. Ihre Handflächen waren schweißfeucht. Ein Zug lag um seinen Mund, den sie noch nie gesehen hatte, und obwohl er immer noch beeindruckend groß und männlich vor ihr aufragte, wies das auf eine verborgene Verletzlichkeit hin. Und das bei diesem Mann, der stets so unerschütterlich wirkte …
Das war das Letzte, was sie brauchte.
»Nein«, erwiderte er ruhig. »Wie ich bereits sagte, es ist nicht mehr passiert außer dem, was du gesehen hast. Als du den Raum verlassen hast, ging ich auch. Isabella war ziemlich aufgebracht, das kannst du mir glauben.«
»Vergib mir, wenn ich nicht allzu viel Sympathie für sie aufbringen kann«, schnappte Annabel. »Dennoch scheint mir das, was passiert ist, mehr als genug zu sein. Sie war halbnackt und
du …« Sie verstummte beschämt. Zweifellos hatte er in seinem Leben die Brüste so vieler Frauen berührt, dass dieses Ereignis für ihn keine Bedeutung hatte.
Zu ihrem Ärger verstand er ihr Zögern als das, was es war. »Das liegt an deiner Unschuld, die Teil unseres Problems ist.Vertrau mir, es gibt noch viel mehr.«
»Dir vertrauen? Also bitte. Im Übrigen haben wir kein gemeinsames Problem. Es gibt nichts, das wir teilen.« Sie spie jedes Wort aus.
»Komm schon, Annie. Das ist nicht wahr.« Der Ausdruck auf seinem Gesicht war beinahe anklagend. »Du meidest mich. Gott weiß, wie sehr ich versucht habe, dir aus dem Weg zu gehen. Es hat nicht geklappt. Für keinen von uns. Andere Leute haben es bereits gemerkt. Dein Verlobter hat es gemerkt, um Himmels willen!«
»Lass Alfred aus dieser … lächerlichen Diskussion heraus. Ich bin nicht sicher, warum wir überhaupt darüber reden.« Sie ballte die Hände zu Fäusten. In ihrem Magen machte sich ein merkwürdiges Gefühl breit, als hätte sie etwas Ungenießbares gegessen. »Wie kannst du eigentlich wissen, was er denkt?«
»Männer haben eine direktere Art, Dinge auszusprechen als Frauen.« Sein Lächeln war nur schwach und troff vor Ironie. »Gewöhnlich fragen wir einfach, wenn uns etwas in den Sinn kommt. Wenn uns die Antwort nicht gefällt, greifen wir manchmal bei Sonnenaufgang zu Pistolen oder nutzen unsere Fäuste. Ich weiß, das ist barbarisch, aber wir neigen dazu, in solchen Dingen eher geradeheraus zu sein.«
Annabel starrte ihn an. »Er hat dich über mich ausgefragt? Über …«
»Uns?«, half er ihr. »Ich fürchte, es ist so.«
Ja, in ihrem Magen machte sich tatsächlich ein mulmiges Gefühl breit. »Was hast du ihm erzählt?«
Derek hob eine Braue. Sie registrierte es verärgert. »Nichts. Ich bin ein Gentleman, auch wenn du vom Gegenteil überzeugt bist.«
»Du erwartest allen Ernstes, dass ich dir das glaube?«
»Was kann ich dir außer der Wahrheit schon bieten? Darum bin ich hier.«
Er stand einfach da, noch immer so unglaublich gutaussehend, obwohl sein bemerkenswerter Charme kaum auffiel. Stattdessen war sein Gesicht offen, geradezu nackt. Ganz anders als sein gewöhnlich träges, charismatisches Verhalten.
Es bestand kein Zweifel: Bei seinem Anblick wurden ihre Knie weich. Annabel gab sich Mühe, gefasst zu wirken, aber tatsächlich konnte sie kaum einen klaren Gedanken formulieren. »Lass mich sehen, ob ich verstehe, was du groß und breit dargelegt hast. Nachdem du mich an jenem Nachmittag geküsst hast, musstest du fürchten, jede weitere Tändelei mit mir könne dich der Gefahr des Undenkbaren aussetzen, und du
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