Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
einenalten Freund, redete ihn mit »Herr Stolf« an und reichte auch Rost ihre ringgeschmückte, weiße Hand. Nach ein paar Höflichkeitsfloskeln sagte sie, sie werde augenblicklich ein paar junge Damen schicken, die ihnen Gesellschaft leisten würden, und zeigte ihnen ein Album mit Frauenfotografien. Aus einem Nebenzimmer kamen gedämpfte Klavierklänge. Wenige Minuten später erschienen vier junge Damen in ärmellosen Abendkleidern mit tiefen Hals- und Rückenausschnitten, die wie Kabarettsängerinnen aussahen. Die vier setzten ein routiniertes Lächeln auf wie vor einem Fotoapparat und flanierten auf und ab, unter gekünstelter Sittsamkeit.
Fritz Anker rückte seine Brille zurecht. Die Mädels waren nicht hässlich, jede auf ihre Art. In dem geräumigen Salon drehten sich Paare zur Klaviermusik, man trank Sekt an kleinen Tischen, ausgelassenes und weinseliges Lachen erschallte, es roch nach Alkohol, Schweiß, Parfüm und Tabak. Frauen saßen auf Männerschößen, kicherten, wenn die Galane sie zwickten oder anzügliche Reden führten. An die fünfzig Männer und Frauen befanden sich dort. Frauen aller Arten, zumeist nicht über dreißig Jahre alt, und unterschiedliche Männer, junge und betagte, Schmerbäuche, Kahlköpfe, Offiziere, einfache Leute.
Fritz Anker bestellte Champagner. Hier fiel mit einem Schlag seine übliche Schüchternheit von ihm ab. Hier stand er keinem nach, hier entschied das Geld, und an Geld fehlte es ihm nicht. Er hatte hier sogar einen etwas dreisten Unterton in der Stimme, und Rost musterte ihn stillvergnügt von der Seite. Anker winkte zwei Mädchen, die gerade frisch zurechtgemacht hereinkamen, die eine hellblond, die andere dunkelhaarig mit boshaften grünlichen Augen.
»Und Sie, mein erhabener Prinz, werden heute Abend den Mund nicht auftun?«, wandte sich die Grünäugige an Rost. »Du darfst ruhig ein bisschen netter zu mir sein, mein aufgeblasenerPrinz. Ich heiße Karolin und kann sehr lieb sein. Möchtest du tanzen?«
Rost hatte keine Lust zum Tanzen. Er musterte die Gäste, und sein Blick blieb an einem Mann hängen, der ihm bekannt vorkam. Der spürte seinen Blick und erhob sich, ging auf seinen Tisch zu und begrüßte ihn mit trunkener Jovialität. Jetzt erkannte ihn Rost.
»Kaum haben Sie die Uniform abgelegt, sind Sie schon nicht wiederzuerkennen«, lachte Rost.
»Du bist mir untreu geworden, Karolin, wie ich sehe, das werde ich dir nie verzeihen«, schalt Felix von Brunnhof.
»Ich muss mich halt ein wenig um diesen unerfahrenen Jungen kümmern, ihn anleiten und erziehen.«
»Schade um deine Mühe, ich bin schon eingeführt.«
Felix von Brunnhof blieb noch ein Weilchen bei ihnen stehen und schäkerte mit den Mädchen. Er konnte sich ihnen nicht anschließen, da er in Gesellschaft war, versprach aber, später wiederzukommen. Rost spürte sein Bemühen, fröhlich zu sein. Anker schob seine Brille hin und her. Rost hatte vergessen, ihn dem Offizier vorzustellen. Es kam ihm allerdings auch komisch vor, zwei Menschen an einem solchen Ort miteinander bekanntzumachen. Die Lokalität an sich stellte eine ähnliche Verbindung zwischen Wildfremden her wie ein Gefängnis, wo man sich ja auch nicht nach der üblichen Etikette miteinander bekanntmachen musste.
Die Blondine trank schon aus einem Glas mit Fritz Anker und streichelte seine bartlose Wangen- und Kinnpartie. Sie hieß Jetti und stammte aus Linz. »Dann kauf mir einen Brillantring«, sagte sie einschmeichelnd.
»Ich werde dir einen Brillantring kaufen, aber sicher«, lachte Anker berauscht, ohne jeden Grund. Dann gingen die beiden hinaus.
Rost nippte nur an seinem Glas, hatte keine Lust zum Trinken. Karolins eifriges Zureden ging ins Leere, obwohlsie nicht hässlich war. Ihn befiel plötzlich unüberwindbare Langeweile. Das schummrige Licht, die Musik, die Tänze, die überschwängliche Ausgelassenheit – mit einem Schlag stach ihm das Falsche und Unnatürliche daran ins Auge. Alles lief auf ein bestimmtes Ziel hinaus. Fritz Anker mit seinem bartlosen Pergamentgesicht und dem entsprechenden Minderwertigkeitsgefühl, gerade er, der vorgab, der einen und einzigen Wahrheit nachzujagen, verfiel dieser miesen Illusion des Lebens. Und Felix von Brunnhof, der hochmütige und tyrannische Offizier, desgleichen. Aber Michael Rost brauchte das nicht, das Seichte lag ihm bisher noch fern, Gott sei Dank.
»Was bist du bloß für ein langweiliger Patron«, schimpfte Karolin, »ein wahrer Popanz, völlig leblos.«
»Da hast du
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