Eine Witwe ohne Tränen
war er dann deshalb ein netter Bursche? Hatte er die
Wahrheit erzählt? Oder hatte er versucht, mir einen hübschen, fetten Bären
aufzubinden? Wenn er mir die Wahrheit erzählt hatte, was war dann mit Rita
Quentin? Ein ganzes Bündel faszinierender Fragen, auf die es — wie gewöhnlich —
nicht eine einzige verdammte Antwort gab.
Als
ich schließlich das Haus fand, stellte ich fest, daß es abseits von den anderen
stand, mit Blick auf eine abgelegene Bucht nördlich von Long Beach. Es hatte,
um die Abgeschiedenheit noch zu verstärken, einen hohen Zaun um sich herum; und
ich bemerkte eine Limousine neuesten Modells auf der Zufahrt, als ich
vorüberfuhr. Wenn, wie ich hoffte, Lucas Justin Godfrey aus Sicherheitsgründen
innerhalb des Hauses untergebracht hatte, so hatte er auch ganz bestimmt einen
seiner Leute dort postiert, der dafür sorgte, daß Godfrey nicht seine Ansicht
änderte. Eingedenk Lous, des Burschen, den er in Godfreys Wohnung
zurückgelassen hatte, bestand die Wahrscheinlichkeit, daß es sich dabei um ein
ähnliches Kaliber handelte. Ich wendete gemächlich und fuhr zurück, während ich
mir das Problem durch den Kopf gehen ließ. Die Sache mit der Couch war eine
einmalige Chance gewesen, überlegte ich, und wer sehnte sich schon inmitten
eines trägen heißen Nachmittags nach einem Konditionstraining? Dann fiel mir
die Taschenlampe im Handschuhfach ein, ein hübsches, solides Ding mit einer
schweren Metallhülle.
Ich
hielt mit dem Wagen auf der Zufahrt, nahm die Taschenlampe heraus und ging die
Stufen zur vorderen Veranda empor. Dann drückte ich auf den Klingelknopf, als
sei der Himmel im Begriff einzustürzen und die Welt habe nur noch eine knappe
Minute zu leben. Etwa fünf Sekunden später öffnete sich die Tür knapp acht
Zentimeter weit, und ich sah ein Individuum, das wie Lous Bruder aussah,
abgesehen davon, daß sein Gesicht, das mich finster anstarrte, noch
widerwärtiger war.
»Polizei«,
sagte ich in scharfem Ton. »Ist das Ihr Fahrzeug, das auf der Zufahrt steht?«
»Ja«,
brummte er. »Und? Stört es den Verkehr?«
»Dann
können Sie mir vielleicht erklären, was die Leiche im Kofferraum bedeutet?«
sagte ich grimmig.
»Leiche
im...« Er schluckte mühsam. »Das soll wohl ein Witz sein?«
»Meinen
Sie?« knurrte ich. »Dann kommen Sie mal mit und sehen Sie selber.«
Er
riß die Tür weit auf und kam auf die Veranda herausgestampft. Im nächsten
Augenblick schlug ich ihm die Taschenlampe auf den Hinterkopf, und er sackte
zusammen wie ein nasser Haufen Kleider. Ich packte ihn am Jackenkragen,
schleppte ihn ins Haus zurück und schloß leise die Tür. Er war bewußtlos; und
es sah so aus, als würde er das auch noch einige Zeit bleiben, also war er
nicht mein nächstliegendes Problem. Ich ließ ihn auf dem Boden liegen, wodurch
der Eingangsflur etwas unordentlich wirkte, und ging, um das übrige Haus zu
durchsuchen. Als mir schließlich die leeren Zimmer auszugehen begannen, fing
ich an, mir einigermaßen nervös zu überlegen, ob ich vielleicht in das falsche
Haus geraten war und ob der große Bursche, den ich eben zusammengeschlagen
hatte, nicht vielleicht ein großes Tier beim FBI war, das hier seinen
Jahresurlaub verbrachte. Dann blickte ich zu einem der hinteren Fenster hinaus
und sah dort jemanden in recht entspanntem Zustand in einem korbartigen Stuhl
sitzen, das Gesicht dem Swimming-pool zugewandt. Ich fand, die Welt sei zu
klein, um mehr als ein Paar solcher karierter Bermuda-Shorts zu beherbergen,
und begann mich wesentlich besser zu fühlen. Ich schlich mich hinaus in den
Patio, blieb dicht hinter dem Korbstuhl stehen und sagte mit lauter fröhlicher
Stimme: »Hallo, Justin!«
Das
Resultat war spektakulär. Beim Klang meiner Stimme fuhr er mit einem
krampfhaften Satz geradewegs aus dem Stuhl. Einen Augenblick lang schwankte er
am Rand des Bassins, wobei seine Arme verzweifelt ruderten, dann verlor er das
Gleichgewicht und verschwand mit einem gewaltigen Plumps im Wasser. Als er
wieder auftauchte, kniete ich nieder, packte ihn am Hemd, zog ihn aus dem
Becken und verfrachtete ihn wieder in den Stuhl. Mit seinem dunklen schlaffen,
eng an den Kopf gepflasterten Haar sah er wie etwas aus, was man aus Versehen
aus fünftausend Faden Tiefe herausgezogen hat.
»Sie«,
sagte er mit gleichsam durchnäßter Stimme. »Wie sind
Sie hier hereingekommen?« Er rieb sich das Wasser aus den Augen, um Platz für
die Panik zu schaffen, die schnell in ihnen auftauchte. »Wo ist
Weitere Kostenlose Bücher