Eine Witwe ohne Tränen
man sie vielleicht auch gebrauchen wird. Aber im Augenblick hatte ich
das Empfinden, als würde ich mich noch wesentlich nervöser fühlen, wenn ich sie
nicht bei mir hätte. Wenn man zum Kernpunkt menschlicher Ethik vordringt, so
ist Überleben alles!
ACHTES KAPITEL
R ita Quentin öffnete die Tür und blickte mich
fragend an. Sie trug ein glattes knöchellanges Kleid, das eine marmorn wirkende
Schulter frei ließ und mit großen schwarzen Orchideen auf meergrünem
Hintergrund bedruckt war. Ihr glänzendes schwarzes Haar fiel vom Mittelscheitel
in einem Schwung auf die Schultern herab und bildete einen perfekten Rahmen für
das wie von Raffael gemalte Gesicht.
»Die
dunkle Lady aus den Sonetten«, sagte ich voller Bewunderung. »Welch ein
Geheimnis ruht hinter dieser Augen Schimmer. Was für ein Sturm dräut hinter
dieser stillen Stirn aus Elfenbein.«
»Was
wollen Sie denn jetzt, Rick Holman?« fragte sie kalt.
»Erst
einen Drink, dann vielleicht ein wenig Geplauder und danach Taten«, sagte ich.
»Das Spiel ist im Gang.«
»Und
Sie scheinen übergeschnappt zu sein.« Sie seufzte leise. »Vermutlich nützt es
mir doch nichts, wenn ich versuche, sie gar nicht erst in meine Wohnung
hereinzulassen.«
Ich
strebte, sobald wir das Wohnzimmer betreten hatten, sofort der Bar zu und goß
mir ein Glas ein. Sie schüttelte, als ich sie fragend anblickte, den Kopf,
setzte sich auf die Couch und betrachtete mich mit teilnahmslosem Gesicht.
»Mein
Ohr ist ein stets offenes Schlüsselloch«, sagte ich elegant. »Die Leute
flüstern allerhand hinein — zumeist Lügen, aber ganz gelegentlich dringt auch
einmal ein wahres Geständnis durch und trägt dazu bei, das Schloß zu öffnen.«
Ich sah mich in dem riesigen Raum um und schüttelte dann bedächtig den Kopf.
»Sie haben hier wirklich ein prachtvolles Appartement, Rita. Sie verdanken
Daddy eine Menge. — Oder war’s ein anderer Papi?«
»Die
Lösung verschlüsselter Andeutungen war nie meine besondere Stärke«, sagte sie
leichthin. »Wenn Sie was auf dem Herzen haben, Rick, rücken Sie damit
geradewegs heraus.«
»Daddy
starb und hinterließ Ihnen einen Stoß Investmentzertifikate, die Ihnen ungefähr
fünfundzwanzigtausend Dollar im Jahr einbringen, nach Abzug der Steuern«, sagte
ich. »Das haben Sie mir doch gestern abend erzählt,
nicht wahr?«
Sie
nickte. »Sie haben ein gutes Gedächtnis.«
»Heute
habe ich eine andere Version gehört. Der andere Papi hat Sie mit dem ganzen
Zaster versorgt.«
»Lloyd?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Da sind Sie falsch informiert worden,
Rick.«
»Nicht
Lloyd«, sagte ich, »sondern Joe — Joe Rather.«
»Ich
glaube, ich möchte jetzt doch etwas zu trinken haben.« Ihr Gesicht verzog sich
heftig zu einer Grimasse. »Ich möchte wissen, weshalb ich in Ihrer Gegenwart
immer zur Trinkerin werde?«
»Machen
Sie sich um mich keine Gedanken«, knurrte ich. »Machen wir uns lieber über Sie
Gedanken — und über Joe Rather.«
»Gut.
Ich dachte, es sei ein so großes Geheimnis gewesen, daß nur wir beide davon
wüßten. Alles zusammengenommen — läßt es einen gewissen Schluß zu — nicht
wahr?«
Ich
goß ihr ein Glas ein, und sie stand auf und kam zur Bar. »Was ich Ihnen gestern abend über das Vermögen meines Vaters gesagt habe,
hat gestimmt, Rick. Während meiner Rather -Phase lebte
er noch.«
»Wollen
Sie nach wie vor Genaues über Gails Tod wissen?« fragte ich.
»Ja.«
»Wegen
Rather?«
»Ja.«
Sie nippte ein wenig an ihrem Glas, während sie überlegte. »Ich dachte, es
könne nichts schaden, auch wenn ich mich geirrt haben sollte, da meine früheren
Beziehungen zu Rather nach wie vor geheimbleiben würden.« Sie bewegte ein wenig
die Schultern. »Nun ja, Sie haben eben bewiesen, daß ich mich da getäuscht
habe, also spielt das nun alles keine Rolle mehr.«
»Dann
erzählen Sie mir von Rather.«
Sie
steckte einen Finger in ihr Glas und begann, formlose Muster auf die Oberfläche
der Bar zu zeichnen. »Er war ein Freund meines Vaters. Ich traf ihn bei einer
Party, als ich noch eine unberührte Zweiundzwanzigjährige war und nur von
älteren Männern etwas hielt. Nie zuvor hatte ich jemanden wie Joe getroffen.«
Ihr erinnerungsschweres Lächeln enthielt einen Hauch von Sehnsucht, stellte ich
fest. »Er war ein menschlicher Dynamo, mit einem skrupellosen Charme, der ein
solch kleines Unschuldslamm wie mich einfach vom Erdboden hinweg und ins
nächste Bett fegte. Am Anfang, glaube ich, merkte er
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