Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
vorstellen. Er würde wahrscheinlich in Ohnmacht fallen, würde er seine Mutter so sprechen hören, seine Mutter, die jeden Sonntag in die Kirche ging, die jeden Abend und jeden Morgen betete, die ein Kreuz um den Hals trug und zu jeder Gelegenheit den Willen des Himmels oder Maria Mutter Gottes zitierte.
„Aber vorher, Edvard, sag mir eins: Liebst du Bernhard denn?“
„Ja, natürlich.“
„Gut. Dann hab keine Angst. Ganz gleich was in den nächsten Tagen passiert, Bernhard wird wieder zu dir zurückkommen. Du mußt nur vertrauen.“ Sie sprach geheimnisvoll, wie Birgit, wenn sie mir aus den Karten las.
Die Stunden vergingen. Die meiste Zeit verbrachte ich am Eßtisch, immer in Erwartung auf das vertraute Klappern der Schlüssel, auf das Knarzen der Tür und den Menschen, den ich von Minute zu Minute mehr vermißte. Gudrun und Sieglinde waren gekommen und gegangen, Mutter Lydia hatte ihr Mittagsschläfchen eingelegt, Malvyn rauchte vermutlich gerade mit seinem Jüngling einen Joint oder schluckte Ecstasy-Pillen, und ich saß da und wartete auf Bernhard.
Um fünf hielt ich es nicht mehr aus und ging runter auf die Straße. Es war ein grauer Tag, die Luft schwer von Feuchtigkeit. Auf dem Land mußte es neblig sein; hier fühlte es sich an wie feinster Nieselregen. Ich ging vor dem Haus auf und ab, dann an die Ecke, schaute in die Querstraßen hinein, behielt dabei aber unseren Hauseingang immer im Blickfeld.
Bernhard kam erst, als es schon dämmerte. Eine große dunkle Gestalt näherte sich. Er hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen, seine Hände tief in die Taschen vergraben. Aus etwa zweihundert Meter Entfernung muß er mich dann erkannt haben, denn sein Schritt wurde deutlich langsamer. Ich lief ihm entgegen.
„Ich denke, wir sollten uns unterhalten“, sagte ich, Bernhard antwortete nicht. Ich packte ihn am Arm und schüttelte ihn. „Das ist doch Scheiße! Wie lange muß ich jetzt wieder deine miese Laune ertragen?“
„Die habe ja wohl nicht ich verursacht“, sagte er spitz.
„Hast du sie noch alle? So eine Szene vor allen Leuten zu veranstalten!“
„Stimmt es etwa nicht?“ Er drehte sich um und ging weg. Ich folgte ihm.
„Nein, es stimmt nicht. Ich habe nicht mit jedem geschlafen. Und das war alles vor deiner Zeit. Du hast kein Recht, mir das vorzuwerfen, und schon gleich nicht, es zu benutzen, um mich schlecht zu machen.“
„Wie kannst du auf unserer Jubiläumsparty einen anderen lieben?“ sagte er verächtlich.
„Lieben? Lieben? Wenn ich das schon höre!“
„Ja, dieses Wort scheint dir fremd zu sein, sonst hättest du mich nicht betrogen“, konterte er.
„Betrogen? Pah! Mach doch keinen Staatsakt daraus.“ Ich blieb stehen und packte ihn am Arm, zog ihn an mich heran, um ihn zu küssen. Er wehrte sich, drehte sich weg und ging weiter.
„Wenn du rumvögeln willst, dann bin ich der Falsche.“ Er schaute mich nicht einmal an, als er das sagte. Allein daß er dieses Wort „Rumvögeln“ benutzte, zeigte mir, daß es ihm nur darum ging, mich zu verletzen.
Ich blieb stehen, packte ihn am Kinn und drehte sein Gesicht, so daß er mich anschauen mußte. „Da ist doch überhaupt nicht die Rede davon.“
„Dann versprich mir, daß du es nie wieder tust!“
Ich ließ ihn los. „Das kann ich dir nicht versprechen, das kann dir niemand versprechen. Es wäre eine Lüge. Du schaffst es doch selber nicht.“
„Ach ja? Was meinst du denn damit?“
„Meinst du, ich kriege nicht mit, wie du Jean-Paul angaffst? Oder all die anderen? Und warst du etwa nicht hinter Malvyn her?“
„Ich wußte, du würdest das gegen mich verwenden“, antwortete er, stampfte auf und ging wieder los, schneller diesmal, als wollte er davonlaufen. „Wir haben gemeinsam Sex mit ihm gehabt“, rief er mir über die Schulter zu. „Gemeinsam! Hörst du den Unterschied? Und es war eine Ausnahme.“
„Ach, und wer bestimmt, wann eine Ausnahme gemacht wird? Du, natürlich. Richtig? Und als du zu Raimondo ins Bett gekrochen bist, das war dann wahrscheinlich auch eine Ausnahme, ja?“ fragte ich, sobald ich ihn eingeholt hatte. „Im übrigen kann ich mich nicht erinnern, daß daran etwas Gemeinsames war.“
Er blieb abrupt stehen und schaute mich giftig an. Ich hatte ein Tabu gebrochen. Über den heiligen Raimondo durfte man nichts kommen lassen. „Das war was ganz anderes. Schließlich hatte ich keinen Sex mit ihm.“
„Das macht es um so schlimmer, Bernhard. Hättest du einen Quickie mit
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