Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
ich Eier und Fleisch aus der Wohnung nahm, um ihn auszuhungern. Fleisch auf dem Fenstersims könnte ihn hinauslocken, dachte ich mir und deponierte daher etwas vor dem Küchenfenster. Aber das schlechte Klima innerhalb der Wohnung hielt an, meine Versuche hatten noch nicht ausgereicht.
Sobald B aus dem Haus war, malte ich ein großes Pentagramm auf Packpapier und legte es in das Zentrum der Wohnung – auf den Eßtisch –, dann kramte ich ein Büschel getrockneten Salbei aus Eds Kinderkommode, deren Schubladen gefüllt waren mit Lotusblütensamen, exotischen Duftölen, keltischen Runen und ich weiß nicht, was noch alles. Nani half mir, die Fenster zu verschließen, dann verschmorten wir das Kraut auf einer heißen Kohle und trugen es von Zimmer zu Zimmer – ihre Freundin Divja, die wohl sehr esoterisch angehaucht war, hatte auch schon Räucherungen vorgenommen, sagte sie mir.
Es verbreitete dicken, schweren, süßlich duftenden Rauch, der sich träge ausbreitete und in jede Ecke der Wohnung kroch; Nani und ich schauten dabei zu. Erst als der letzte graue Faden aufgestiegen war und wir sicher sein konnten, daß der Nebel den Dämon orientierungslos gemacht hatte, öffneten wir schnell alle Fenster und Türen auf einmal und scheuchten den Rauch hinaus, in der Hoffnung, damit auch den Dämon loszuwerden.
Gleich danach glaubte ich die ersten Zeichen der Besserung zu erkennen: Als B um zwei aus der Schule kam, wortlos eine Heiße Tasse aufbrühte und sich, wie schon die Tage zuvor, in seinem Zimmer verschanzen wollte, folgte Nani ihm, um ihn sich vorzuknöpfen. Und die Dinge nahmen ihren Lauf.
Lydia *
„Mutter, misch dich nicht ein!“ sagte Bernhard bedrohlich.
Mein Sohn hatte den Computer eingeschaltet; auf dem Schirm tauchten in schneller Abfolge Bilder auf, bis ein blauer Hintergrund erschien, auf dem viele bunte Vignetten standen.
„Doch, das werde ich“, entgegnete ich mit fester Stimme und setzte mich aufs Sofa; ich sank ein und mußte zu ihm aufschauen.
Bernhard, der an seiner Suppe geschlürft hatte, stellte die Tasse ab, schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wie soll das weitergehen?“ fragte ich ihn.
„Gar nicht“, antwortete er, und das mit einer Kühle und Abgeklärtheit, die mich erschreckte.
„Heißt das, du willst alles hinschmeißen?“
„Nicht ich, Mama. Edvard hat alles hingeschmissen.“
„Den Eindruck habe ich nicht. Er liebt dich, Bernhard, das hat er dir deutlich zu verstehen gegeben.“
„Liebe? Edvard hat es bisher nicht mal für nötig erachtet, sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Aber das scheint ja heute niemand mehr zu tun.“ Während er das sagte, senkte er den Blick und machte mich damit überhaupt erst auf dieses Thema aufmerksam.
„Spielst du auf die Sache mit deinem Vater an?“
Ich sah, daß er unsicher wurde.
„Jetzt verstehe ich endlich, worum es dir die ganze Zeit gegangen ist. Du hast jahrelang keinen Kontakt zu uns gehabt, weil wir uns nicht entschuldigt haben? Verstehe ich das richtig?“ Mit einem Mal war es mir so klar. Warum hatte ich es nicht früher gesehen? Diese plötzliche Erkenntnis machte mich bitter.
„Also dann“, sagte ich. „Entschuldige, lieber Bernhard. Entschuldige, daß wir dir Unrecht getan haben. Meinem herzkranken Mann ist es an jenem Abend, als wir durch unglückliche Umstände erfuhren, daß du Männer liebst, nicht gut gegangen. Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte in dem Moment den Eindruck, es sei wichtiger, mich um ihn zu kümmern, anstatt mich bei dir dafür zu entschuldigen, daß du eine unangenehme Situation ertragen mußtest. Dann ist mein Mann gestorben, der Mensch, mit dem ich sechsundvierzig Jahre meines Lebens verbracht habe. Plötzlich war ich auf mich alleine gestellt und war mir nicht mal sicher, wie lange ich noch leben würde. Ich hatte Krebs, Bernhard, ich war schwach, ich wußte nicht, wer für mich einkaufen würde, putzen, kochen. Ich wußte nicht mal, wo ich weiterleben sollte. Es tut mir leid, daß ich so egoistisch war, in diesem Moment an mich zu denken und nicht daran, wie unbequem es für dich war, daß du dir dieses Leben ausgesucht hast und dich offensichtlich darin nicht zurecht finden kannst. Ich …“
Ich hörte, wie die Verbitterung mich hatte ironisch werden lassen. Bernhards Selbstherrlichkeit erinnerte mich einmal mehr daran, wie oft sich Theo in sein Schweigen zurückgezogen hatte, bis ich klein vor seinen Mauern stand und bettelte,
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