Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
wieder eingelassen zu werden, in das heilige Reich der Gemeinschaft, aus dem er mich, meist wegen einer Nichtigkeit, verbannt hatte. Aber Ironie hatte noch nie Probleme gelöst oder Verständnis geschaffen, deshalb nahm ich mich zusammen und sprach in sanfterem Ton weiter.
„Es sind die Gesten, Bernhard. Sie sind viel wichtiger als Worte. Was bedeutet ein ‚Es tut mir leid‘, wenn dem keine Taten folgen? Was hätte es den Kranken in Indien genützt, wenn Mutter Theresa gesagt hätte: ‚Es tut mir leid‘? Nichts, Bernhard. Und ich bin mir sicher, daß sie nicht jedem Kranken, den sie in ihren Armen hielt, gesagt hat, wie leid es ihr tut, daß er krank ist. Ich dachte, ich hätte dir durch meine wiederholten Einladungen zu verstehen gegeben, daß ich dir nichts vorhielt. Ich habe dich gefragt, ich habe dich gebeten, mir von deinem Leben zu erzählen und damit deinen Edvard gemeint. Es war wohl nicht deutlich genug. Und das tut mir wirklich leid.“
Er schaute mir in die Augen, als versuchte er, festzustellen, wie ernst es mir war. Ich spürte, daß mir Tränen kamen. „Und schau dir an, wieviel Zeit wir dadurch versäumt haben. Fast fünf Jahre sind vergangen seit jenem Abendessen. Fünf Jahre, Bernhard! Du kannst es vielleicht noch nicht verstehen, aber wenn du mir jemals etwas glauben möchtest, dann glaube mir das: Das Leben ist sehr, sehr kurz. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem ich in Theos Geschäft trat und ihn um Arbeit bat. Ich weiß noch genau, wie penetrant es auf der Dampferfahrt nach Fisch und Abgasen roch, die wir zwei Jahre später, kurz nach unserer Hochzeit unternommen haben. Und jetzt ist Theo tot. So schnell vergeht die Zeit. Ich kann mir vorstellen, wie sehr dich das enttäuscht, was Edvard getan hat. Du weißt, daß ich die Letzte bin, die so etwas gutheißen würde. Aber schau auf die Gesten, Bernhard. Schau, wie ernst es Edvard mit dir meint, anstatt auf das Wort ‚Entschuldigung‘ zu warten.“
Ich sah in seinen Augen, daß ich zu ihm durchgedrungen war, daß meine Worte eine Stelle erreichten, die wußte, daß ich recht hatte. Und eine ganze Weile kämpfte er damit. Ich saß ihm gegenüber, schwieg und wartete, bis hinter der harten Fassade der sanfte Bernhard hervorlugte, der sich in Edvards Armen fallenließ. Aber schon Sekunden später tauchte der Lehrer Bernhard auf, der sich seinen Beruf gewählt hatte, weil es das beste Versteck war; ein strenger Lehrer, der sein Leben auf eine Rechenaufgabe reduziert hatte, in der es keine Unbekannten geben durfte. Und dieser Lehrer sprang jetzt auf, stopfte die Hände in die Hosentaschen, ging zur Tür und sagte: „So, ich muß jetzt dringend noch Unterricht vorbereiten.“ Dann legte er die Hand auf die Klinke. Theo war auch immer einem Thema so lange ausgewichen, bis ich aufgab. Sechsundvierzig Jahre hatte ich das mitgemacht, sechsundvierzig Jahre. Das war genug.
„Sollte das eine Geste sein, mit der du mich hinauskomplimentieren willst, dann tut es mir leid, Bernhard“, sagte ich und lehnte mich demonstrativ zurück. Jetzt war ich diejenige, die die Arme verschränkte. „Ich bin noch nicht fertig mit dir.“
Er zögerte einen Moment, aber die Deutlichkeit meiner Aussage zeigte ihm wohl, wie unwiderruflich sie gemeint war. Bernhard kam zurück und baute sich vor mir auf. „Es liegt nicht an mir, Mama. Solange Edvard sich nicht entschuldigt, gibt es kein Zurück.“
Ich erhob mich und drückte ihn in seinen Stuhl, damit ich nicht länger zu ihm aufschauen mußte. „So, jetzt will ich dir mal was sagen. Seit drei Monaten schaue ich mir das an. Du kommst aus der Schule, läßt dich bekochen und versorgen, setzt dich in ein gemachtes Nest. Deine Beteiligung am Haushalt ist gleich Null. Alles, was du kennst, sind deine Bücher. Bei deinem Verhalten kannst du froh sein, daß dich Edvard nicht rausschmeißt.“
„Also …“
„Laß mich ausreden!“ sagte ich scharf, und er gehorchte. „Genau wie dein Vater hast du nie kapiert, daß ein Partner Zuspruch verdient, daß er sich nicht selber immer alles geben kann, was er braucht. So wie du Edvard darben läßt, mußt du dich nicht wundern, wenn er sich von anderen holt, was du ihm nicht gibst. Jeder will geachtet und geliebt werden, nicht nur du und nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Edvard hat es, weiß Gott, verdient.“
Bernhard schoß hoch und brüllte mich an: „Jetzt reicht’s aber! Verlasse sofort mein …“
„Was? Zimmer? Haus? Nein, das wagst
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