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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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sie etwas Schweres gehoben, bevor sie zusammengebrochen ist?“
    „Sie wollte eine Nachspeise aus dem Kühlschrank nehmen“, sagte Bernhard, „aber sie ist, glaube ich, schon vorher zusammengebrochen. Weißt du noch?“ fragte er mich. „Hat die Schale auf dem Boden gelegen?“
    Aber auch ich konnte mich nicht mehr daran erinnern.
    „Können Sie mir etwas über ihren Zustand sagen?“ fragte ich vorsichtig.
    Der Arzt schaute Berni an, dann erklärte er: „Sie sehen, ihre rechte Gesichtshälfte ist schlaff. Sie empfindet keine Schmerzen auf der rechten Seite.“ Er kniff sie in den Arm, um es mir zu demonstrieren. „Die Pupillen sind unterschiedlich groß, die Reflexe seitendifferent: Dem äußeren Anschein nach hat sie einen Hirnschlag erlitten, aber wir müssen andere Möglichkeiten ausschließen. Und wenn es ein Apoplex war, müssen wir die Ursache feststellen, um entsprechend zu behandeln.“
    „Ursache?“
    „Ja, ein Hirnschlag kann verschiedene Ursachen haben: eine verstopfte Arterie, das wäre dann wie bei einem Herzinfarkt eine lokale Unterversorgung. Er könnte aber auch von einer inneren Blutung herrühren.“
    Seine Erklärungen gingen zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Mich interessierte die Ursache wenig; Hauptsache, sie würde wieder gesund.
    „Was wissen Sie denn über ihre Vorgeschichte?“ fragte der Arzt. „Stoffwechselstörungen, Infektionskrankheiten, Krebs …“
    „Ja, Brustkrebs“, sagte Bernhard. Das war ja auch nicht zu übersehen. „Ich glaube, sie hat danach drei Zyklen Chemotherapie durchgemacht.“
    „In welchem Krankenhaus wurde sie operiert? Ich frage, damit wir die Unterlagen anfordern können.“
    „Das war in Heidelberg. Ich muß meine Schwestern anrufen; sie wissen da mehr.“
    „Dann fragen Sie doch bitte auch gleich nach dem Hausarzt. Er hat sie sicher danach betreut.“
    Was konnte ein Hirnschlag schon mit Brustkrebs zu tun haben? fragte ich mich.
    Der Arzt riß den Papierstreifen vom EKG ab, schaute darauf und notierte etwas.
    „Was sehen Sie da?“ fragte Berni.
    „Ihre Mutter hat einen sehr niedrigen Puls.“
    „Und was bedeutet das?“
    „Im Moment will ich das nicht weiter bewerten“, sagte er und schaute uns abwechselnd in die Augen. „Das Blutbild ist in einer halben Stunde da, und in einer guten Stunde haben wir hoffentlich die Bilder von der Computertomographie. Trinken Sie erst mal einen Kaffee, ich informiere Sie umgehend.“
    Er schaute mich an, kurz nur, mit einem Blick, wie ihn nur Ärzte hatten: etwas von einem geprügelten Hund. Ob die das auf der Uni lernten? Er brauchte nichts weiter zu sagen, dieser Blick machte mir klar, was er dachte: Es stand nicht gut um unsere Mutter.
    Mein Gesicht wurde heiß, und in meiner Kehle saß ein Kloß. Wir gingen hinaus und suchten die Cafeteria; um die Zeit war sie natürlich schon geschlossen.
    „Willst du nicht deine Geschwister anrufen?“ fragte ich, brachte die Worte kaum heraus – wäre ich alleine gewesen, hätte ich sofort losgeflennt. Ich reichte Bernhard mein Handy. „Wir müssen aber rausgehen, um zu telefonieren. Hier drin dürfen wir nicht.“
    „Nein. Du weißt, ich kann die Dinger nicht leiden.“
    Er zog eine Telefonkarte aus dem Geldbeutel, stellte sich am Haupteingang an einen öffentlichen Fernsprecher und rief seine Geschwister an. Ich beobachtete ihn. Er war ruhig, er war betroffen, aber gelassen. Er sagte Gudrun nur das Notwendigste und bat sie auf seinen nächsten Anruf zu warten, bevor sie sich ins Auto setzte. Ich bewunderte ihn um diese Klarheit. Diese Art, mit schwierigen Situationen umzugehen, war eine Stärke, die mir fehlte.
    Ich bedeutete ihm, daß ich nach draußen gehen würde. Ich wollte das Handy wieder anschalten und Malvyn informieren, der zu Hause geblieben war und auf Instruktionen wartete. Es regnete und war kalt, still und kalt. Die Tropfen zerplatzten auf meinem Gesicht, aber ich spürte sie kaum.
    Ich gab den PIN-Code ein, und sobald die Verbindung zum Netz hergestellt war, rasselten SMS ein: „Ed. Was ist los? Ruf an. Lipstick.“ „Was ist passiert? Wir machen uns Sorgen. Kim.“ „Können wir was für euch tun? J-P+J.“ Auf der Mailbox war ein Anruf von Max und von Malvyn. Mit jedem Wort, das ich las oder hörte, wurde meine Kehle ein wenig enger.
    „Was ist los?“ fragte Malvyn, als ich ihn dann in der Leitung hatte.
    „Sieht nicht gut aus“, antwortete ich, und der Kloß in meiner Kehle schwoll.
    „Was heißt das? Nun red schon,

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