Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Ed!“
Ich versuchte, die Tränen hinunterzudrücken, aber es gelang mir nicht; es platzte einfach aus mir heraus: „Sie wird sterben“, heulte ich los und war überrascht über das, was ich sagte. Aber es war plötzlich so klar. „Sie wird sterben, sie wird sterben, sie wird sterben.“
„He, Ed. Bleib cool, Mann! Reg dich ab!“ sagte er, aber da war es längst zu spät. Ich konnte nur noch heulen. Und weil es mich erleichterte, versuchte ich auch nicht mehr, es zurückzuhalten.
Ich war schon völlig durchweicht, als ich eine Viertelstunde später die Arme spürte: Arme, die mich einhüllten und hielten, die Brust, an die ich mich anlehnen konnte, und die Lippen, die meinen Nacken küßten. Bernhard hatte mich gefunden. Zusammen saßen wir auf der kühlen Erde im Regen, der die Tränen von meinen Wangen wusch.
Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging, bis ich mich beruhigt hatte und wieder aufstehen konnte. Wir gingen auf den Haupteingang zu, aber bevor wir eintraten, wischte Berni mein Gesicht ab und gab mir einen Kuß. „Wir schaffen auch das noch“, sagte er, dann nahm er mich bei der Hand und führte mich hinein.
Wir fanden Omas Bett vor dem Untersuchungszimmer der Computertomographie. Es war leer und trieb mir gleich wieder Tränen in die Augen. Wir setzten uns daneben und warteten. Ich lehnte mich zurück, suchte Bernis Wärme, seine Schulter, den Kontakt. Er wich mir nicht aus. Dann legte ich meine Hand auf seinen Schoß.
Etwas tropfte auf meinen Handrücken. Bernhard weinte. „Sie wird sterben, nicht wahr?“ flüsterte er. „Zuerst verläßt du mich und jetzt sie. Ihr laßt mich alle allein.“
Ich legte meinen Arm um seine Schulter und streichelte sein Gesicht. „Ich laß dich doch nicht allein, du Dummkopf.“ Dann schossen auch mir Tränen in die Augen. Diese Angst, mich zu verlieren, ich kannte sie. „Wir gehören zusammen“, sagte ich und klopfte mit meiner Faust sanft gegen seine Stirn. Ich hätte es am liebsten in ihn hineingeprügelt.
Bald kam eine junge Schwester den leeren Gang herunter und schaute an uns vorbei. Sie ging in das Untersuchungszimmer, einen kurzen Moment später schoben sie Bernhards Mutter auf einer Trage heraus und legten sie in ihr Bett zurück.
Bernhard nahm ihre Hand. „Mama. Kannst du mich hören?“ Sie bewegte sich nicht.
„Die Bilder schicken wir rüber, sobald der Doc draufgeschaut hat.“ Der Röntgenassistent, oder was immer er war, übersah uns geflissentlich. „Kann aber noch ’ne Weile dauern.“
Die Schwester nickte ihm zu und löste die Bremse. „Gehören Sie zu Frau Moll?“ fragte sie. Wir nickten. Dann schob sie das Bett den Gang hinunter, und wir folgten ihr. Bernhard griff nach meiner Hand und hielt sie fest; mir stiegen Tränen in die Augen.
Sie brachte Lydia auf eine Intensivstation. Wieder warten. Nach einer Weile, die Zeit verging so zäh, stand Bernhard auf und klopfte an die Metallschiebetür, steckte seinen Kopf hinein. Von drinnen war ungleichmäßiges Piepen zu hören und hektisch gesprochene Worte, Rufe, ein Schrei. Bernhards Rücken spannte sich an, seine Stimme wurde lauter, dann Entspannung. Es dauerte eine Weile, dann schob jemand von innen die Tür zu.
„Komme gleich“, sagte Bernhard zu mir und rannte weg.
Als er wiederkam, war sein Gang zielgerichtet, steifer als zuvor. Er hatte einen großen Papierumschlag unter dem Arm. Er gab die Bilder ab und setzte sich dann neben mich, vorsichtig, langsam. Sie mußten ihm etwas gesagt haben, dachte ich, aber ich fragte nicht nach. Er würde schon sprechen, wenn es an der Zeit war.
Um zwei rief uns eine Krankenschwester hinein. „Fünf Minuten“, sagte sie, führte uns an Lydias Bett und zog den Vorhang hinter uns zu.
Um ihre Nase hing ein Sauerstoffschlauch, über den Zeigefinger war eine Kappe gestülpt und am Arm hing eine Infusion. Hinter ihrem Kopf zeigte ein Monitor die Herzströme. Ich hatte keine Ahnung von Medizin, aber ein Puls von sechsundvierzig erschien mir sehr niedrig.
Um uns herum piepte und röchelte es. Wir sahen nichts, aber die Hektik und Panik drang durch den Vorhang zu uns. Ich kam mir vor, als wäre Büroschluß und wir stünden in einem U-Bahnhof.
Bernhard blieb am Fußende stehen, ich mußte näher an sie heran. Alles schien so unwirklich; selbst meine Trauer kam mir vor wie durch Drogen induziert. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter. Es war fast so, als würde ich nicht glauben, daß sie da vor mir lag. „Oma“, flüsterte ich. „Wir sind
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