Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
offensichtlich keines klaren Gedankens fähig war.
„An der Bahnhof, in ein Schloßfach. Heißt das so?“
„Schließfach.“ Langsam wurde mir klar, daß wir ab sofort Gastgeber sein würden. Meine Hand war schon auf dem Weg zu Edvards Schulter, um ihm zu bedeuten, daß wir das schon hinkriegen würden, aber ich zog sie noch rechtzeitig zurück.
„Ich bezieh dann mal das Gästebett“, sagte ich und machte mich davon. Edvard sandte mir einen hilflosen Blick hinterher.
„He, Bruder, das ist wirklich groß, hier zu sein. Die Familie spricht …“ Ich schloß die Tür hinter mir.
Puuh! Ich setzte mich auf das Bett und atmete erst mal tief durch. Draußen lag eine immense Spannung in der Luft. Edvard hätte an dieser Stelle bestimmt eine geniale Erklärung dafür gefunden: Planetenkram oder fremde Vibrationen, Karma, keine Ahnung. Ich dagegen konnte mich nur darüber wundern. Wieso verunsicherte Malvyns Anwesenheit Edvard?
Ich zog die Tagesdecke vom Bett, faltete sie mehr schlecht als recht – Edvard würde mich dafür anmeckern –, stopfte sie in ein leeres Fach im Schrank, nahm ein Handtuch und eine Zahnbürste heraus und ging wieder ins Große.
Sie saßen sich genauso gegenüber, wie ich sie verlassen hatte. Edvard starr, Malvyn aufgedreht und lebendig, mit dieser gesetzten höflichen Art, die die Engländer am Ende des neunzehnten Jahrhunderts über diesen Teil der Welt gebracht hatten. Nur eins konnten die Briten ihnen nicht austreiben: eine starke Körperlichkeit; Malvyn hatte andauernd eine Hand auf Edvards Schulter, auf seinem Schenkel oder seinem Arm. Edvard sagte mir später, daß er das in Ordnung fand, denn er wußte, daß das zumindest in diesem Teil von Afrika üblich war. Ich mußte mich erst mal daran gewöhnen.
Dieses Schauspiel amüsierte mich fast ein wenig, denn wenn jemand von aufgedrehten Menschen sprach, sagte ich immer: Warte, du kennst Edvard noch nicht. Und jetzt saß mein Mann da, regungslos und schweigsam. Es gab also auch Situationen, die sogar ihn überforderten. Es war Zeit, ihn zu retten: „Das Bett ist fertig, Malvyn. Hier hast du ein Handtuch und eine Zahnbürste. Alles andere findest du im Bad.“
„Danke, Bruder. Danke.“
„Praise the Lord!“ vervollständigte ich seine Worte in Gedanken – gemein, ich weiß. Das Klischee hatte mich schon am Wickel. „Brauchst du noch was?“
„Nein, Bruder. Alles super. Schön hier bei euch. Danke.“ Malvyn sah nicht nur aus wie ein fleischgewordener Traum, er hatte zudem ein sonniges Gemüt und eine angenehme Ausstrahlung.
„Kein Problem, Mann“, sagte ich und ertappte mich dabei, wie ich im Klischee versumpfte. „Ich möchte nicht unfreundlich wirken, Malvyn, aber Edvard und ich sind beide sehr müde. Wir wollten gerade ins Bett gehen, als du geläutet hast.“
„O, aber es ist nur zehn Uhr.“
Ich war um den Tisch herumgegangen und stupste Edvard mit dem Knie in den Rücken. Wie auf Knopfdruck sprang er auf. „Ja, ja“, stotterte er, „stimmt. Wir hatten einen sehr anstrengenden Tag, und ich habe Kopfschmerzen, außerdem haben wir morgen viel vor …“
Ich stupste Edvard noch einmal an, um ihn wieder auszuschalten; seine Unbeholfenheit war zu dick aufgetragen.
„Sicher. Alles okay.“
Ich schob Edvard vor mir her ins Schlafzimmer; den ganzen Weg dorthin winkten wir Malvyn zu; die Situation hatte etwas Groteskes, wie eine Szene aus den Golden Girls. Wir fielen aufs Bett, Edvard befand sich in einer Vorstufe zum Koma.
„Wie sicher bist du dir, daß er tatsächlich dein Neffe ist?“ flüsterte ich. „Oder müssen wir Angst haben, daß er uns über Nacht die Bude ausräumt?“
„Nein, nein, das geht schon klar. Ich hab ihn zwar vor Jahren das letzte Mal gesehen, aber er ist es, ganz bestimmt.“
„Okay. Dann erkläre mir bitte, was dich so lähmt?“
„Das kommt einfach ein bißchen überraschend, Mann.“
„Vorsicht. Ich bin nicht Malvyn.“
„Sorry. Jedenfalls habe ich weder eine Ahnung, was er über mich weiß, noch was er wissen darf.“
„Wer hätte gedacht, daß du, Edvard der Große, dich jemals für dein Schwulsein schämen würdest.“
„Das hat nichts mit Schämen zu tun, du alter Zyniker. Das ist eine diffizile Angelegenheit. Mein Vater arbeitet schließlich für die Botschaft. Wenn rauskommt, daß er einen schwulen Sohn hat, könnte er Probleme kriegen.“
„Ach, und das kümmert dich?“
„Das kümmert mich wohl. Schließlich hat mich mein Vater nie verleugnet. Er ist immer
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