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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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englischer Akzent war selbst in den wenigen Worten nicht zu überhören, aber es klang weder britisch noch amerikanisch, das hätte ich unterscheiden können.
    Es irritierte mich, daß sein Haar nicht schwarz war, sondern von einem fahlen braun, braun wie … die Schale einer Walnuß. Er hatte es zu vielen regelmäßigen, dünnen Zöpfen geflochten und nach links und rechts gekämmt, so daß sie einen schnurgeraden dunklen Scheitel entblößten.
    „Wer ist da?“ fragte Edvard.
    Es wäre eine Lüge zu behaupten, daß es die Farbe seiner Haare war, die mich irritierte. Der ganze Kerl war eine Irritation, wie sehr, das sollte ich bald erfahren.
    „Bernhard!“ rief Edvard, und ich trat zur Seite, um den Blick freizugeben – vermutlich hing meine Kinnlade auf der Brust. Warum ich das annehme? Ich sah Edvards Reaktion; ihm ging es nämlich nicht anders.
    „Onkel Edvard?“ fragte der Fremde mit einem Blick auf meinen Mann, und sein ohnehin strahlendes Gesicht begann zu leuchten.
    Edvard stand auf. Der junge Mann ging an mir vorbei in die Wohnung und steuerte auf ihn zu. Edvard streckte die Hand aus wie ein Polizist, der den Verkehr regelte: „Okay, Momentchen. Halt. Stop! Was ist das für ein joke?“ fragte er. „Wer hat dich geschickt? Max, Jean-Paul, Lipstick? Wer immer es war, sag ihm einen schönen Gruß. Nette Idee, aber der total falsche Zeitpunkt. Und jetzt verschwinde wieder. Ich bin müde.“
    Ich fuhr zusammen. Gab es denn einen richtigen Zeitpunkt für so ein Bübchen?
    Der junge Mann blieb erschrocken stehen. „No. Malvyn Gray. Es ist ich, dein Neffe.“
    „Malvyn? Der Sohn von Angelika aus Simbabwe?“
    „Angela, ja! My, das war vielleicht schwierig zu finden dich. Wir hatten eine ganz andere Adresse aufnotiert von dir.“ Nun umarmte er Edvard. „Hallo Bruder“, sagte er und gab ihm einen Kuß auf die Lippen.
    „Malvyn?“ Ein Unterton des Zweifels schwang in Edvards Stimme, aber er war trotzdem völlig von ihm eingenommen, so sehr, daß ich den Eindruck hatte, nicht mehr zu existieren.
    Ich ließ die Tür ins Schloß fallen, etwas lauter als notwendig, und stellte mich neben Edvard.
    „Ähm, Malvyn, das ist … Bernhard“, sagte er und unterschlug die Beziehung, in der wir zueinanderstanden. Ich wollte ihm demonstrativ den Arm um die Taille legen, aber Edvard tat einen Schritt zur Seite und warf mir einen drohenden Blick zu.
    „Bernhard. Malvyn ist der älteste Sohn meiner Halbschwester Angelika, der jüngsten Tochter aus der ersten Ehe meines Vaters.“ Er betonte die „erste Ehe“, und dann dämmerte mir, warum er auf Abstand von mir ging: Das Verhältnis dieses Teils der Familie zu Edvards Vater war sehr angespannt. Verständlich, hatte sein Vater Malvyns Großmutter doch für Edvards Mutter verlassen.
    „Hallo, willkommen“, sagte ich. „Das ist ja, tja, … wirklich eine richtige Überraschung. Nicht wahr, Edvard?“
    Er nickte und bot Malvyn einen Stuhl an.
    „Hast du Hunger? Möchtest du was trinken?“ fragte ich.
    „Ein Coke wäre groß“, sagte er. Malvyn sprach ein sehr lustiges Deutsch. Seine Mutter hatte die Kinder konsequent auf deutsch erzogen, aber da er wenig Übung hatte, übersetzte er wörtlich aus dem Englischen und übernahm auch den Satzbau.
    „Cola haben wir nicht. Geht auch was anderes?“
    „Dann ein Glas Wasser, bitte.“
    „Was machst du hier?“ hörte ich Edvard fragen, als ich in die Küche ging.
    „Reisen. Ich bin gerade mit der Schule fertig geworden, und bevor ich mit dem Studium beginne, wollte ich Europa sehen. Schließlich ist ein Teil meiner Wurzeln hier begründet.“
    „Verstehe.“ Edvards Stimme klang seltsam, überhaupt nicht freudig – wie sonst, wenn Gäste bei uns einfielen. Mißtrauen traf seine Stimmung am besten. „Wieso hast du nicht vorher angerufen oder geschrieben?“
    „Das ging alles sehr schnell, Bruder. Ich habe mich kurzfristig entschlossen.“
    Ich kam aus der Küche zurück und schaute direkt in das offene, unschuldig wirkende Gesicht seines Neffen.
    „Wo übernachtest du?“ fragte ich ihn und stellte ihm ein großes Glas Wasser hin. Malvyn trank es mit einem Zug halb leer.
    „Ich dachte, ich kann hier bleiben, Bruder. Wir sind Familie“, sagte er mit einem lachenden Gesicht und klopfte Edvard auf die Schulter, als hätten sie im Krieg zusammen an der Front gekämpft.
    Bei uns? Ich starrte erst Malvyn an, dann Edvard, der ziemlich hilflos dreinschaute.
    „Wo sind deine Sachen?“ fragte ich, weil Edvard

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