Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Sie ist eine wahre Freude. So wohl erzogen und so gescheit für ihr Alter. Jeden Tag erzählt sie mir, was sie alles erlebt hat. Was die Kinder in diesem Alter alles beeindruckt? Sie plappert in einer Tour. Und wenn sie alles erzählt hat, dann zieht sie ihre Spielkiste hervor und beschäftigt sich ganz mit sich allein.
    Seit neuestem kocht Edvard mit ihr, das macht ihr große Freude. Er läßt sie an den Gewürzen schnuppern und erklärt ihr alle. Inzwischen läßt er sie schon öfter mal die Gerichte würzen. Da das mit dem Dosieren noch nicht so klappt, darf sie aber nur auswählen, er streut es dann in den Topf. Auf diese Art bekomme ich zwar gewagte Kombinationen zu schmecken, aber so lernt sie es am besten.
    Neulich hat sie mir ein Bild gemalt. Ein Haus, umgeben von einer Wiese, ein Baum und ein langer Strich, der die Wiese mit dem Himmel verbindet. Mit gelben und orangefarbenen Buntstiften hat sie ein schmetterlingsartiges Gebilde gezeichnet. Ich habe sie gelobt – da guckt sie immer ganz stolz – und gefragt, was das denn sein soll. „Ein Engel“, antwortete sie. Ein Engel. „Hast du denn schon mal einen Engel gesehen?“ hab ich sie gefragt. „Die gibt’s doch gar nicht“ war ihre Antwort. Sie machte ein Gesicht dazu, als würde ich sie mit dieser Frage beleidigen. Die gibt’s doch gar nicht. Ist das nicht rührend?
    Und neulich abends hat sie mir eine Gute-Nacht-Geschichte „vorgelesen“. Kannst Du Dir das vorstellen? Das kleine Ding. Sie setzte sich an mein Bett und tat so, als könnte sie lesen; ich habe meine Augen geschlossen und mich schlafend gestellt. Dann gab sie mir einen kräftigen Schmatzer auf die Stirn, rutschte vom Bett herunter und schaltete das Licht aus. Ich war so ergriffen, daß ich nicht wagte, es wieder anzuschalten, nachdem sie gegangen war. Sie ist schon so erwachsen. Keines meiner Kinder war in dem Alter schon soweit.
    Hast Du eigentlich gewußt, daß Trockenblumen negative Energie verstrahlen? Edvard behauptet das. Dieser Florist, Barbarella heißt er (eigenartiger Name, findest Du nicht?), bringt mir häufig frische Schnittblumen – es ist ein Vorwand, um mir von seinem Freund zu erzählen, mit dem er viele Probleme hat. Jedenfalls wollte ich einen Strauß Rosen trocknen, da hat mir Edvard von Feng Shui erzählt. Hast Du davon schon gehört? Nach dieser chinesischen – ja, was ist das eigentlich, eine Philosophie? Jedenfalls soll man keine trockenen Blumen im Haus haben, weil sie tote Energie verstrahlen.
    Ansonsten bleibt mir viel Zeit für mich. Wie Du weißt, wache ich morgens früh auf und liege dann stundenlang im Bett, bevor ich aufstehen kann. Ich glaube fast, der liebe Gott hat das so eingerichtet, damit ich Zeit habe, über mein Leben nachzudenken. Theo ist immer bei mir; ich kann ihn einfach nicht vergessen.
    Manchmal nähe ich ein paar Knöpfe an oder wasche eine Maschine Wäsche. Ich will mich ja auch nützlich machen; die beiden haben so viel um die Ohren. Am Nachmittag werde ich mich mal an das Silber machen, das hat es bitter nötig.
    Heute vormittag habe ich den Kühlschrank aussortiert; es bleibt immer so viel liegen. Eine Flüssigkeit in einer kleinen braunen Flasche muß das Verfallsdatum schon Monate überschritten haben. Es roch schon ganz scharf wie Nagellack.
    Sie haben zwar eine Putzfrau … Ach, das muß ich Dir noch schreiben. Vanja (ich weiß nicht genau, wie man ihren Namen buchstabiert) ist Russin. Eine feste, rotbäckige Frau mit einer robusten Statur. Wir haben uns prächtig unterhalten. Weißt Du, Edvard benutzt nur ökologische Putzmittel, die er mit Bachblüten und ätherischen Ölen versetzt, um die Umwelt zu schonen. Aber Vanja bringt heimlich ihr eigenes Scheuerpulver mit, weil sie das Bad sonst nicht zum Glänzen bringt, sagt sie. Sie ist ein Original. Jedenfalls hat sie mir erzählt, daß die beiden Buben letztes Jahr eine Hochzeitsfeier veranstaltet haben. Wie gern wär ich dabei gewesen, warum hat mir mein Junge nichts davon gesagt? Vanja hat mir ein Foto gezeigt, es steht auf Edvards Nachttisch; ich gehe ja nicht in ihr Schlafzimmer, deshalb hab ich es vorher nicht gesehen. Mein Junge in festen Händen, das macht mich richtig glücklich.
    Liebe Divja. Ich weiß nicht, wann ich Dir das nächste Mal schreibe. Es ist sehr anstrengend für mich; das siehst Du sicher an meiner Schrift. Manchmal verschwimmen mir die Buchstaben vor den Augen – aber an der Brille kann es nicht liegen, die ist neu –, und meine Finger machen manchmal