Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
blieb ihr anderes übrig? Die ganze Nacht allein bleiben mit einem Tankwart, der beschlossen hatte, seine Dienste niemandem mehr anzubieten, oder ein Stück weiter gen Berlin kommen? Wenn er denn überhaupt nach Berlin fuhr …
»Wohin fährst du denn?«, fragte sie also, während sie sich die Tränen vom Gesicht wischte.
»Erst nach Rostock, dann nach Berlin«, antwortete der junge Mann.
»Ist das nicht ein ziemlicher Umweg?«, fragte Anna und bemerkte, dass sie gar nicht innerlich jubelte, dass ihre Bekanntschaft letztlich dasselbe Ziel wie sie hatte. Zu tief saß noch immer das Misstrauen in ihr.
»Na ja, wie man’s nimmt. Ich studiere eigentlich in Rostock und habe auch meine Wohnung da, aber gestern und vorgestern war ich in Stralsund bei Freunden. Dummerweise habe ich nicht dran gedacht, die Geschenke für meine Family mitzunehmen. Du weißt ja, wie es so übers Fest ist, da wollen einen alle Verwandten sehen und ausfragen und na ja, immerhin gibt’s gutes Essen und ich kann mal ausschlafen … Ich hätte ja eigentlich über die A 20 durchfahren können, aber ohne Geschenke tauche ich besser nicht auf, also geht’s jetzt erst mal nach Rostock und dann über die 19 und die 24 nach Berlin.«
Das hörte sich wahnsinnig kompliziert an. Aber gab es eine andere Möglichkeit? Der Parkplatz hier lag ziemlich einsam, wegen fehlender Telefonnummer konnte sie niemanden erreichen, und die Wahrscheinlichkeit, dass der Tankwart seine Ohrstöpsel heute noch mal rausnahm, war eher gering.
»Und was studierst du?«, fragte sie weiter, denn ihre Zweifel waren noch immer nicht zerstreut. Gleichzeitig fragte sie sich, was man in Rostock überhaupt studieren konnte.
»Nautik«, entgegnete der Student. »Das kann man leider nicht in Berlin. Ich will mal Kapitän werden.«
Diese plausibel klingende Aussage beruhigte sie zwar ein wenig, aber dennoch zögerte sie.
»Und was ist mit dir, was machst du so?«, fragte er und versuchte sichtlich, ein wenig vertrauenerweckender auszusehen.
»Ich studiere in Leipzig Literatur«, antwortete Anna lahm.
»Na ja, wie ich schon sagte, wenn du willst und keine Angst vor dem kleinen Umweg hast, nehme ich dich mit. Hab zwar keine Luxuslimousine, aber das geht schon. Und wenn wir frühmorgens in Berlin sind, kannst du deine Familie überraschen und brauchst nicht mehr anrufen. Und dein Handy aufladen kannst du dann auch.«
Jetzt konnte Anna nicht anders, sie musste lächeln. So wie Marko das sagte, war es die einfachste Sache der Welt. Und wie ein Frauenkiller kam er ihr auch nicht mehr vor.
»Also gut, ich fahre mit«, sagte sie nun und beschloss, ihrer Mutter nichts davon zu erzählen, wenn die Sprache darauf kam, wie sie denn eigentlich nach Berlin gekommen war. Das würde nur wieder ellenlange Diskussionen hervorrufen, in die sich Gerd einmischen würde. Und dann war das Weihnachtsfest ohnehin im Eimer.
»Okay, du wirst es nicht bereuen. Ach ja, weißt du, was man machen muss, dass einem der Typ da hinten Schokoriegel und Cola verkauft? Irgendwie scheint die Musik so laut zu sein, dass er nicht mal mitkriegt, dass vor ihm jemand steht.«
Anna rappelte sich auf, ließ das kaputte Handy in ihrer Tasche verschwinden und umklammerte den Griff ihres Trolleys.
»Keine Ahnung, aber vielleicht gelingt es uns gemeinsam.«
11. KAPITEL
D ie Trucks auf dem Parkplatz waren mehr geworden. Drei neue standen dort, einer von ihnen hatte eine Lichtgirlande im Cockpit, bei dem anderen blinkte der Name Jiri in blauen Leuchtlettern im Fenster. Die Männer gingen gemeinsam in die Raststätte. Ob sie wohl den Burschen dazu bringen konnten, sich die Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen?
Markos Auto wartete auf dem Parkplatz, es war einer der drei PKW s, die dort parkten. Wo waren die Insassen der anderen Wagen?
Bevor Anna sich etwas zusammenreimen konnte, blinkte die Warnblinkanlage eines tiefergelegten Ford Fiesta auf. Eine feine Schneeschicht verhinderte, dass sie die Farbe identifizieren konnte.
Beim Einsteigen fiel ihr jedoch sofort die pink-weiße Aloha-Stoffblütenkette auf, die vom Rückspiegel baumelte. Die Sitze waren mit einem schwarz-weißen Stoff bezogen und ein leichter Tannenduft entströmte ihnen. Das typische Fahrzeug für jemanden, der gern Party machte. Jedenfalls würde er sich in Leipzig prima in die Riege der Partyboys einreihen, die sich am frühen Samstagabend an den Tankstellen trafen und versuchten, einander mit ihren Wagen zu beeindrucken. Vielleicht verbarg sich unter
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