Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
dem Schnee ja noch eine phantasievolle Lackierung oder sogar ein Airbrush-Bild?
Während Anna sich den Gurt über die Schulter zog, ertappte sie sich dabei, dass sie fast schon wie ihre eigene Mutter dachte. Dass sie nichts von Partys hielt, bedeutete ja nicht, dass Leute, die das taten, schlecht waren. Marko wollte sie immerhin nach Hause bringen!
»Na dann mal los!«, sagte der junge Mann unternehmungslustig und erweckte den Motor mit einem Dreh des Zündschlüssels. Er klang ebenso getuned, wie das Fahrgestell tiefergelegt war, aber das tiefe Brummen hatte etwas Vertrauenerweckendes, das Anna dazu brachte, sich zu entspannen. Die Vibrationen unter ihrem Sitz versprachen, dass das Fahrzeug genügend Kraft hatte, um sie nach Berlin zu bringen. Es würde schon alles wieder gut werden.
Der Ford schlingerte zwar ein wenig, als Marko anfuhr, doch nach einer Weile fühlte sich das Fahrzeug wieder stabiler an. An der Ausfahrt von der Tankstelle preschte ein Schneepflug vorbei. Zunächst regnete es nur Schnee, dann einen kleinen Sturm Streusalz, der Marko dazu brachte, leise vor sich hin zu murren.
»Das Zeug macht die ganzen Wagen kaputt. Ich wünschte, es würde endlich aufhören zu schneien.«
»Das hört sich nicht an, als würdest du auf den Winter stehen.«
Anna witterte einen Seelenverwandten. Dass er auf dem Weg zu seinen Eltern war, bedeutete ja noch lange nicht, dass er gern Weihnachten feierte und diesem ganzen »White Christmas«-Geleier etwas abgewinnen konnte.
»Nee, ich mag den Winter ganz und gar nicht. Vielleicht will ich deshalb Kapitän werden.«
»Und was, wenn du mit deinem Schiff in ein Eismeer geschickt wirst? Nach Grönland oder Sibirien?«
Marko lachte. »Das ist ein guter Punkt. Aber ich habe vor, mich in sonnigen Gefilden einsetzen zu lassen. Von denen gibt es weltweit sehr viele, da muss doch ein Platz für mich sein.«
Anna stellte sich vor, wie Marko in zehn Jahren auf der Brücke eines Fischkutters stand, der Fisch aus Grönland nach Hamburg brachte, und dabei heftig mit den Zähnen klapperte. Dann aber drängte sie ihre Gehässigkeit zurück. Das ist nicht gut fürs Karma, würde ihre Freundin Paula behaupten. Und gutes Karma, vor allem Glück, brauchte sie im Moment.
»Sag mal, hast du ein Handy dabei?«, fragte sie den Studenten, in der unsinnigen Hoffnung, dass er ein Ladegerät besaß, mit dem man ein Handy auch am Zigarettenanzünder des Wagens laden konnte. Okay, das war ein bisschen seltsam, aber jemand, der sein Auto tieferlegte, hatte vielleicht auch irres Zubehör …
Marko schüttelte jedoch den Kopf.
»Vielleicht hältst du mich für verrückt, aber ich hab keins. Will mich nicht völlig von der Technik abhängig machen, wenn du verstehst.«
Anna verstand gar nichts. Wie konnte man als junger Mensch kein Handy besitzen? Auch wenn sie diese Frage nicht laut gestellt hatte, beantwortete Marko sie ihr prompt.
»Man ist viel zu sehr in die ganze Online-Sache verstrickt. Überall fließen Informationen. Jeder kann alles über jeden rauskriegen. Nee, ich will nicht, dass die da oben alles über mich wissen. Deshalb habe ich kein Handy. Wenn ich unterwegs bin, muss mich niemand erreichen, und wenn ich angekommen bin, finde ich schon eine Möglichkeit, mich bei denen zu melden, die wissen müssen, wo ich bin.«
Bei dem Gedanken, dass er vielleicht Postkarten schickte, hätte sie am liebsten aufgelacht. Was machte er bloß, wenn sein Auto mal liegenblieb?
»Noch in den Achtzigern gab es keine Handys, die Leute reisten, und ihre Angehörigen und Freunde warteten, bis sie angekommen waren«, referierte Marko weiter. »Also vermeide ich es noch eine Weile, mich dem Trend anzuschließen.«
»Und was machst du, wenn du mal eine Panne hast?«
»Dann gibt es doch Notfallsäulen an den Straßenrändern.«
»Und wenn du irgendwo feststeckst?«
»Dann schlage ich mich irgendwie durch. Meine Familie ist nicht besonders ängstlich, sie wissen schon, dass ich komme. Wenn ich irgendwann mal auf See bin, kann ich sie auch nicht ständig anrufen.«
»Aber immerhin hast du da ein Funkgerät.«
»Ja, eines, mit dem ich Hilfe holen und mich mit anderen Schiffen verständigen kann. Aber hier habe ich ja noch festen Boden unter den Füßen. Was soll da passieren?«
Anna hätte ihm eine ganze Reihe von Dingen aufzählen können. Aber sie schätzte ihn so ein, dass er seine Meinung ohnehin nicht ändern würde, egal, welche Argumente sie vorbrachte. Vielleicht musste das so sein, wenn
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