Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
aufwärmen kannst. Und vielleicht funktioniert dann auch wieder dein Handy.«
Schön wär’s, dachte Anna, während sie nickte. Gleichzeitig bereute sie, dass sie ihren Laptop nicht mitgenommen hatte. Natürlich brauchte der auch ein funktionierendes Netz, aber Raststätten verfügten vielleicht über WLAN .
Doch da sie der festen Überzeugung gewesen war, nach dem zweiten Feiertag gleich wieder abreisen zu können, hatte sie nur das Nötigste mitgenommen.
Vor dem Rügendamm vollführte Karl Hansen ein kompliziertes Wendemanöver, dann brachte er seinen Schneepflug zum Stehen.
Der andere Fahrer näherte sich gemächlich, wodurch ihr Zeit blieb, sich von ihrem ersten Retter zu verabschieden.
»Vielen Dank, dass Sie mich mitgenommen haben. Ohne Sie würde ich wahrscheinlich noch immer in Binz festhängen.«
Als Anna aus der Kanzel geklettert war, reichte Karl Hansen ihr den Trolley herunter.
»Frohe Weihnachten, Mädel!«, rief er ihr zu. »Ich drück die Daumen, dass du gut in Berlin ankommst.«
Ihre Erwiderung dieses Wunsches wurde von Motorenbrummen verschluckt, dann machte der Schneepflug kehrt.
Anna beeilte sich, zum zweiten Schneepflug zu kommen. Der Fahrer machte keine Anstalten, auszusteigen und ihr mit dem Koffer zu helfen, doch er duldete, dass sie die Tür öffnete und einstieg.
»Hi, ich bin Anna«, stellte sie sich vor, worauf sie eine undeutliche Erwiderung erntete, die sich irgendwie nach »Eckard« anhörte.
»Vielen Dank, dass Sie mich mitnehmen. Ihr Kollege hat Ihnen ja schon erzählt, was mir passiert ist.«
Eckard, oder wie auch immer er hieß, nickte, ließ dann den Motor an und lenkte den Schneepflug auf die Straße. Auch in seinem Radio dudelte etwas, aber es war zu leise, um es zu identifizieren. Wahrscheinlich schätzte der Mann ein dezentes Hintergrundrauschen.
Wie Anna schon bald merkte, war der zweite Schneepflugfahrer wesentlich stiller und wirkte irgendwie nicht glücklich über seine Fracht. Ein paarmal versuchte Anna, mit ihm ein Gespräch anzufangen, aber er ließ sich nicht erweichen. Dass er sie mitgenommen hatte, musste genügen.
Das gab Anna genügend Gelegenheit, über ihre früheren Weihnachtsfeste nachzudenken. Spontan fiel ihr das eine Mal ein, bei dem sie Gerds Eltern besucht hatten.
Wenn sie so wie jetzt Zeit hatte, über die Ursache ihrer Weihnachtsabneigung nachzudenken, kam sie stets zu dem Schluss, dass dieses Weihnachtsfest, bei dem sie zwölf Jahre alt gewesen war, das ausschlaggebende Erlebnis gewesen sein musste.
Gerd hatte sie von Anfang an nicht gemocht, nur ihrer Mutter zuliebe tat sie so, als würde sie sich freuen. Zudem war ihre Mutter damals hochschwanger gewesen, was eigentlich ein Grund war, nicht groß zu verreisen, aber Gerd wollte seiner Mutter stolz seine Familie präsentieren. Dagegen kam Anna mit ihren Bedürfnissen nicht an.
Das Haus, in dem Gerds Mutter lebte, war ein alter Bauernhof, die Frau selbst eine verschlossene, stets düster dreinschauende alte Dame. Wie sie zu dem, was sie war, wurde, hatte sich Anna damals nicht gefragt. Sie hatte sich nur gegruselt vor dem Blick, mit dem die Alte sie durchbohrt hatte.
Während der gesamten Feier hatte sie sich für nichts anderes interessiert als für sie. Wenn Anna schief saß oder mit ihrer Serviette herumspielte, erntete sie einen strafenden Blick. Wenn sie beim Essen kleckerte, wurde der Blick noch finsterer.
Das Allerschlimmste waren jedoch die neuen Cousins und Cousinen, die Anna dazubekommen hatte. Sie schienen sich gegen sie verschworen zu haben, wollten weder mit ihr spielen noch etwas anderes machen. Schließlich war Anna zu ihrer Mutter geflüchtet, was ihr noch einen düsteren Blick ihrer neuen Großmutter eingebracht hatte.
»Ich setze Sie an der ersten Tankstelle auf der Autobahn ab, okay?« Das undeutliche Brummen des Schneepflugfahrers schreckte Anna aus ihrer Erinnerung. Erst jetzt merkte sie, dass sie bereits ein gutes Stück auf der Autobahn hinter sich gelassen hatten. Die Lichter von Stralsund waren nicht einmal mehr zu ahnen.
»Okay«, entgegnete Anna, denn sie war sicher, würde sie auch nur einen Moment länger in diesem Gefährt sitzen, würde sie vor Langeweile umkommen.
Immerhin tauchten die Lichter der Tankstelle schon bald vor ihnen auf, und schließlich bog das Räumfahrzeug auf den Parkplatz der Raststätte ein.
Viele Fahrzeuge standen dort nicht. Wahrscheinlich waren die meisten Leute schon zu Hause. Nur ein paar Trucker rasteten hier, die meisten
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