Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
verreisen.‹
›Und wohin?‹, fragte ich ihn.
›Ist das nicht egal?‹, antwortete er grinsend, und damit war’s beschlossen. Wir packten unsere Koffer, holten unseren alten Globus hervor und versuchten, uns mental auf die Reise einzustimmen – egal, wo sie hinging. Mein Mann wäre am liebsten nach Afrika geflogen, aber selbst wenn wir dorthin einen Flug bekommen hätten, wäre das zu viel für unsere Urlaubskasse gewesen. Also grenzten wir ein auf Spanien, Frankreich oder Italien, inklusive nahegelegener kleiner Inseln.
Unseren Söhnen hinterließen wir natürlich eine Nachricht, auch wenn ich der Meinung war, dass sie sich ruhig ein wenig Sorgen um uns hätten machen sollen. Ohnehin würden sie sich nicht blicken lassen, und Weihnachtsgeschenke überreichten wir uns schon lange nicht mehr.
Am 23 . Dezember begaben wir uns zum Flughafen, mit Tickets nach Lanzarote in der Tasche.
Am Schalter der Fluggesellschaften reihten sich lange Schlangen. Mein Mann hatte ein bisschen Panik, ob wir noch rechtzeitig drankommen würden.
›Aber Heinz‹, sagte ich zu ihm. ›Wir sind zwei Stunden früher hier, da kommen wir auch in unsere Maschine.‹«
Schließlich waren wir endlich an der Reihe. Die junge Frau hinter dem Schalter lächelte uns freundlich an und fragte nach unserer Buchung.
›Oma! Opa!‹, rief da plötzlich eine Stimme.
Erschrocken drehte ich mich um. Und tatsächlich sah ich hinter mir Mia, meine Enkelin, die mit einem Rucksack auf uns zugelaufen kam.
›Was machst du denn hier?‹, fragte mein Mann entgeistert, als ihm Mia auch schon um den Hals fiel.
›Bin abgehauen‹, sagte unsere Enkelin, während sie dann auch mich drückte. ›Hab es zu Hause nicht mehr ausgehalten, Zoff mit Papa.‹
Mein Sohn hatte wirklich ein Talent dafür, seine Familie an Weihnachten zu vergraulen.
›Ich wollte eigentlich zu euch kommen, aber da habe ich die Karte gesehen, die du Papa geschrieben hast. Dass ihr verreisen wollt und so. Und da habe ich mir gedacht, komme ich kurz vor eurem Abflug zu eurem Schalter.‹
›Das ist ja sehr lieb von dir‹, sagte ich, nicht weniger verwirrt als mein Mann. Meine heimliche Freude darüber, dass sie uns den Vorzug gegenüber ihren Eltern gab, setzte erst später ein. ›Aber was willst du denn jetzt machen?‹ Mia war damals immerhin erst vierzehn und hatte eigentlich nicht genug Geld, um in einem Hotel oder Ähnlichem unterzukommen.
›Keine Ahnung, aber immerhin habe ich euch gefunden!‹
›Ähm, entschuldigen Sie, ich brauche dann eine Unterschrift von Ihnen‹, meldete sich die Dame von der Fluggesellschaft nun wieder zu Wort.
Da fiel mir etwas ein. Eigentlich das Naheliegendste. Hinter uns murrte eine Stimme. ›Hier wollen auch noch andere Leute drankommen.‹
Ich hätte am liebsten was Freches entgegnet, doch ich hielt meine Klappe und wandte mich mit meinem besten Oma-Lächeln der Frau hinter dem Schalter zu.
›Entschuldigen Sie, junges Fräulein, es tut mir leid, dass ich Ihnen so viel Mühe mache, aber hätten Sie vielleicht noch einen dritten Platz frei nach Lanzarote? Meine Enkelin würde die Insel sicher auch gern mal sehen.‹
Mia klappte der Mund auf, die Frau hinter dem Schalter ließ sich von meiner sanfteren Seite einlullen, und wenig später waren wir auf dem Weg zu unserem Flug.
Das Weihnachtsfest auf Lanzarote war das beste, das ich je erlebt hatte. Wir haben am Strand gelegen, uns den Sonnenuntergang angesehen und dann in einem Restaurant gegessen. Wäre es ein ganz normales Weihnachten geworden, hätte ich wahrscheinlich den ganzen Tag in der Küche gestanden und mich letztlich wieder mit meinen Söhnen gestritten. Mit Mia war alles so entspannt, sie ist ein wirklich liebes Mädchen. Vielleicht mag ich sie auch nur, weil sie mir ähnlich ist. Irgendwie müssen sich meine Gene durchgesetzt haben.« Ein Lächeln huschte über Butterblumes Gesicht, das Anna zeigte, dass es nicht nur allein an der Ähnlichkeit ihrer Wesen lag, dass sie sich mochten. Offenbar liebte die Frau ihre Enkelin wirklich sehr. Konnte es etwas Schöneres geben?
Gleichzeitig schlich sich ein schlechtes Gewissen in Annas Gedanken. Ging es ihrer Mutter vielleicht ähnlich wie der Butterblumendame? Empfand sie das Schweigen, das Fernbleiben und die Streits als belastend? Wann würde sie aufhören, sie zu lieben? Bei Butterblume war es ganz offensichtlich, dass sie ihre Söhne nur noch aus Gewohnheit so nannte, ansonsten waren sie ihr fremd geworden. War es bei ihrer Mutter
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