Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
sie. Nacheinander taten das auch die anderen, Butterblume ein wenig widerstrebend, aber das war wohl ihre Art und hatte nichts damit zu tun, dass sie Anna nicht leiden mochte.
Noch einmal winkte Anna ihnen zu, dann schnappte sie ihren Trolley und eilte zur Tür.
16. KAPITEL
D ie Schneedecke war höher geworden. Am Rand des Parkplatzes sah Anna ein kleines Räumfahrzeug, das kaum gegen die weißen Massen ankam. Kurz fragte sie sich, ob Karl Hansen und sein Kollege heil nach Hause gekommen waren. Dann mahnte der Fahrer auch schon wieder zur Eile.
»Muss Zeitplan einhalten«, begründete er seine langen Schritte, mit denen er voraus zu seinem Truck stapfte. »Wenn nicht rechtzeitig ankomme, dann muss Firma Strafe zahlen. Das von meinem Lohn abziehen.«
Anna erinnerte sich schemenhaft an einen Fernsehbericht, in dem es um den Druck ging, der auf Fernfahrer ausgeübt wurde. Offenbar war da wirklich was dran.
Mühelos erklomm der Mann die Kanzel seines Fahrzeugs, stieg ein und beugte sich dann zur Seite, um Annas Tür zu öffnen.
»Gibt mir Koffer, dann einfach hochklettern«, sagte er und streckte die Hand aus.
Anna hievte ihren Koffer nach oben und wunderte sich, wie mühelos der Mann ihn ihr abnahm.
Das Innere des Lastwagens roch nach Chips, Cola, Leder und Öl. Ein bisschen alte Decke war auch dabei, aber das ignorierte Anna. Immerhin wollte sie hier nicht einziehen.
»Ich bin Jaroslav übrigens«, sagte der Fahrer und reichte ihr die Hand, kaum dass sie sich angeschnallt hatte.
»Anna«, erwiderte sie. »Noch mal vielen Dank, dass Sie mich mitnehmen.«
Jaroslav winkte ab. »Keine Ursache. Platz ist frei, und besser, wenn jemand mitfährt.«
Als der LKW auf die Ausfahrt zurollte, huschte gerade ein Schneeräumer mit blinkender Rundumleuchte vorbei. Ein paar Salzkörner prasselten gegen die Karosserie und die Scheiben, doch dem Riesen machten sie nichts aus. Als sie auf die Autobahn auffuhren, hielt Anna unwillkürlich im Rückspiegel Ausschau nach dem Studenten von gestern Abend. Ob er es noch geschafft hatte? Oder zurück nach Rostock geschleppt worden war? Von einem Wagen am Straßenrand war jedenfalls nichts zu sehen.
»Du magst Musik?«, fragte Jaroslav nun, während er das Radio anstellte. Der Sender, den auch Marko gehört hatte, schien ihm nicht zu gefallen, denn kaum erklangen die ersten Takte, begann er, nach einem anderen zu suchen.
»Verstellt sich immer«, murrte er. »Sender hier zu stark. Aber ich kriege schon hin.«
Nach einigen Augenblicken wurde er fündig.
Es war Anna ein Rätsel, wie der Truck einen polnischen Radiosender empfangen konnte, aber sie genoss es, die Ansagen mal nicht zu verstehen.
Die polnische Musik war dagegen wirklich erfrischend.
Während die Straße unter ihnen nur so hinwegflog, ließ Anna ihren Blick durch das Cockpit schweifen. Dabei blieb sie bei verschiedenen Fotos hängen, die unterschiedliche Leute zeigten. Wahrscheinlich war das seine Familie. Seine Familie, bei der er nicht sein konnte, weil in Deutschland irgendwelche Leute die Lebensmittelläden derart plünderten, dass über Weihnachten neu eingeräumt werden musste. Oder so.
»Das meine Kinder, Milena, Janka und Nina«, sagte Jaroslav, als er ihren Blick bemerkte, und reichte ihr stolz eines der Fotos. Es zeigte drei Mädchen unterschiedlichen Alters, zwei blonde und ein rothaariges. Sie grinsten alle breit in die Kamera. Anna schätzte, dass die Älteste gerade sieben oder acht Jahre alt war, die anderen waren jeweils zwei oder drei Jahre jünger.
»Sehr liebe Mädchen. Milena ist Beste in Schule. Auch die anderen sehr lieb.« Er nahm ein anderes Foto und zeigte ihr darauf eine gutaussehende dunkelhaarige Frau, deren hübsche Katzenaugen in die Kamera funkelten. »Das meine Theresa. Wir sind schon neun Jahre verheiratet.«
Anna nickte anerkennend, gleichzeitig wurde ihr aber das Herz schwer. Dass der Mann an diesem Tag nach Süden unterwegs war, konnte ja nur heißen, dass er die Feiertage auf der Landstraße verbringen würde.
»Macht es Ihnen denn nichts aus, am Heiligen Abend nicht zu Hause zu sein?«, fragte Anna beklommen. »Sie feiern doch sicher immer sehr groß, oder?«
»Ja, das machen wir. Aber nicht so schlimm, wenn ich heute fahre. Bringt Geld, damit ich viele Geschenke kaufen kann. Und morgen bin ich zu Hause, und dann gibt’s Bigosz und Klöße und Schnaps, und wir feiern richtig.«
Die Vorfreude brachte sein Gesicht zum Strahlen. Darauf war Anna fast schon ein bisschen
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