Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
ihren Gedanken fort. Im Seitenspiegel tauchte kurz das Blaulicht eines Polizeiwagens auf. Oder war es ein Krankenwagen? Sogleich kehrte ihre Unruhe wegen des Reiserufs zurück.
Das Fahrzeug verschwand schnell wieder aus dem Spiegel, aber nicht, weil es abgefahren wäre. Der Wagen tauchte neben ihnen auf. Auf dem breiten grünen Streifen auf der Karosserie prangte der Schriftzug » ZOLL «.
Als sei das noch nicht genug, setzte sich das Fahrzeug vor sie und schaltete eine LED -Beleuchtung an, auf der die Aufforderung »Bitte folgen« in drei Sprachen aufleuchtete. Kein Zweifel, diese Polizisten wollten etwas von Jaroslav.
Der Fahrer stieß ein polnisches Schimpfwort aus, jedenfalls klang das, was er sagte, so, dann schloss er sich dem Zollfahrzeug an.
»Verdammte Polizei«, meckerte er jetzt auf Deutsch, außer Acht lassend, dass es nicht nur die Polizei war, sondern auch der Zoll. »Nicht mal Weihnachten sie uns in Ruhe lassen! Immer Kontrollen! Immer, wenn keine Zeit.« Aber Widerstand war zwecklos. Mal davon abgesehen, dass er bei einer Verfolgungsjagd mit den Beamten den Kürzeren gezogen hätte, hätte er wahrscheinlich auch seinen Führerschein und den Job verloren.
Anna fragte sich, wie es sein konnte, dass Polizisten und Zöllner auch zu Weihnachten auf der Autobahn standen. Doch dann korrigierte sie sich. Es war noch nicht Weihnachten, sondern erst der Heilige Abend. Ein Arbeitstag, für die meisten allerdings nur bis Mittag. Diese Zeit musste natürlich genutzt werden, um Schmuggler und Regelübertreter, die es auch zu Weihnachten gab, zur Ordnung zu rufen.
Doch warum gerade bei dem Truck, in dem ich sitze?
Anna schielte zum Radio. Kam das von diesem unsäglichen Lied? Seit sie von Berlin aufgebrochen war, hatte sie es nun schon dreimal gehört – und immer war irgendwas Schreckliches passiert. Was kam jetzt? Wie lange würde man den armen Fahrer aufhalten? Und wie sollte sie weiterkommen?
Bleib ruhig, sagte sie sich. Es wird schon alles werden. Diese verflixte Reise hat dich bisher nicht kleingekriegt, dann wird sie es auch weiterhin nicht tun.
Nachdem der Truck von einem Polizisten auf einen bestimmten Standplatz gewunken worden war, tauchte der Mann in dick gefütterter Lederjacke und knallroten Ohren unter seiner Mütze auf der Fahrerseite auf.
»Papiere bitte«, forderte er. »Und Ihren Fahrtenschreiber.«
Jaroslav wurde auf einmal blass. Schweiß trat auf seine Stirn.
Anna kam ein unheimlicher Verdacht. Schmuggelte er vielleicht etwas Illegales? Wenn ja, würde man sie bestimmt für seine Komplizin halten und dann einsperren. Schlimmer konnte es wirklich nicht kommen.
Als jemand an der Beifahrerseite klopfte, schreckte Anna zusammen. Neben ihr stand ein anderer Zollbeamter. Er trug einen Parka über seiner Uniform, Nase und Ohren leuchteten ebenfalls in sattem Dunkelrot. Wahrscheinlich beneideten die Kontrolleure die Kollegen, die in ihrem Einsatzfahrzeug über die Autobahn fuhren und auffällige Fahrzeuge »einfingen«, zutiefst. Widerstrebend öffnete sie die Tür.
»Und Sie, junge Frau? Gehören Sie zu dem Fahrer, oder sind Sie vielleicht die Ersatzfahrerin?«
Anna schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin Anhalterin. Jaroslav, ich meine, der Fahrer hat mich mitgenommen.«
»Ihre Papiere bitte!«, feuerte der Beamte ab, ohne auf ihre Worte einzugehen. Es konnte ja immerhin jeder behaupten, einfach nur bei einem Schmuggler mitzufahren.
Anna kramte ihre Papiere aus dem Trolley. Der Polizist studierte sie mit nachdenklicher Miene, dann reichte er sie zurück.
»Und wohin soll die Fahrt gehen?«
»Nach Berlin.« Anna überlegte, ob sie ihm die gesamte Geschichte auftischen sollte. Wahrscheinlich würde er sie ihr gar nicht abnehmen.
»Aha.« So, wie er das sagte, hörte es sich nach einem noch schlimmeren Verbrechen als Drogenschmuggel an.
»Ich hatte keine andere Wahl«, stammelte sie.
»Sie wissen hoffentlich, dass es gefährlich sein kann, mit wildfremden Leuten mitzufahren.«
Bitte?, hätte Anna um ein Haar gefragt, doch sie verkniff es sich. Sie wusste selbst, dass es gefährlich war, aber Jaroslav war ein anständiger Mann, der nur seine Arbeit machte. Offenbar schaute der Zollbeamte zu viel Fernsehen.
»Ja, ich weiß, aber dennoch, mir erschien der Mann hier vertrauenswürdig. Und er hat mir auch nichts getan.«
Der Mann bedachte sie mit einem »Wirst schon sehen«-Blick und zog dann ab. Anna saß wie auf Kohlen. Wann würde es weitergehen? Und was war mit Jaroslav?
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