Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Inzwischen war er ausgestiegen und gestikulierte in Richtung der Zollbeamten. Diese gingen um seinen Laster herum, untersuchten offenbar auch die Ladung.
Anna blickte auf ihre Armbanduhr. Viertel nach elf. Lange hatte ihre Fahrt nicht gedauert. Warum hatte sie nur solch ein Pech?
»Mit der Ladung ist alles in Ordnung«, sagte der andere Zollbeamte schließlich, während er Jaroslav die Papiere aushändigte. »Allerdings haben Sie Ihre Ruhezeiten nicht eingehalten. Das bedeutet, dass Sie den Wagen fürs Erste nicht weiterbewegen dürfen.«
»Was?«, erboste sich der Fahrer. »Ich nicht weiterfahren soll? Aber ich hab Termine! Ich muss heute Abend sein in Dresden.«
Dass er außerdem morgen mit seiner Familie feiern wollte, verschwieg er.
»Tut mir leid, aber die gesetzlichen Bestimmungen besagen, dass Sie nur einen bestimmten Zeitraum ohne Unterbrechung fahren dürfen. Sie haben jetzt seit gut sechzehn Stunden keine Ruhezeit eingelegt, das bedeutet, dass Sie, wenn Sie weiterfahren wollen, erst einmal mindestens neun Stunden Pause machen müssen.«
»Aber er hat doch Pause gemacht!«, meldete sich Anna zu Wort.
»Stimmt, für eine halbe Stunde«, gab der Beamte ungerührt zurück. »Das ist jenseits aller Vorschriften.« Damit wandte er sich zu Jaroslav, der ganz zerknirscht dreinschaute. Das, was er vor sich hin murmelte, verstand der Beamte zum Glück ebenso wenig wie Anna.
»Sie werden jetzt eine Pause machen, die den Vorschriften entspricht. Wenn Sie das nicht tun, sind wir gezwungen, das Fahrzeug stillzulegen.«
»In Ordnung, in Ordnung«, gab Jaroslav zurück und hob beschwichtigend die Hände. »Ich mache Pause.«
»Gut, dann fahren Sie Ihr Fahrzeug auf den Parkplatz dort drüben«, wies ihn der Beamte an. »Sollten wir erneut auf Sie treffen und feststellen, dass Sie sich widerrechtlich vom Parkplatz entfernt haben, droht Ihnen eine Geldbuße. Jetzt belassen wir es erst einmal bei einer Verwarnung.«
17. KAPITEL
» T ut mir leid«, sagte Jaroslav zerknirscht, als er wieder in den Wagen stieg. »Muss mich jetzt schlafen legen.«
»Warum zwingt Ihre Firma Sie eigentlich durchzufahren?«, fragte Anna verwundert. »Die wissen doch, dass es in Deutschland diese Vorschriften gibt.«
»Konkurrenz«, antwortete er schulterzuckend. »Wir nicht kriegen Auftrag, wenn wir nicht sagen, wir schnell genug da. Auftraggeber interessiert nicht, wie lange wir fahren, Hauptsache, wir kommen an.«
Anna schüttelte den Kopf. »Vielleicht sollte sich der Zoll auch um solche Firmen kümmern.«
»Vielleicht, aber machen nicht. Nicht schlimm, ich schlafe und dann ich fahre weiter. Wenn du willst, kannst du warten, dann nehme ich dich mit. Oder du fragst Polizei, die dich vielleicht bringen nach Berlin.«
Das waren sie ihr nach dem abrupten Stopp eigentlich schuldig.
Anna überlegte einen Moment lang, dann stieg sie aus und ging zu den Männern, die sich gerade Kaffee aus einer Thermoskanne eingossen. Jaroslav startete seinen Truck und lenkte ihn auf den Parkplatz, auf dem auch noch zwei andere Fahrzeuge standen, deren Fahrer offenbar ebenfalls nicht viel Schlaf bekommen hatten.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie, worauf die Männer sie ein wenig verwundert ansahen. »Da mein Fahrer jetzt schlafen muss, könnten Sie mich vielleicht mitnehmen? Sie kommen nicht zufällig aus Berlin, oder?«
Ratloses Schweigen. Die Männer sahen sich an. Der Kaffeebecher des einen lief über. Fluchend schraubte der Eingießende das Behältnis wieder zu. Die Kaffeespritzer, die alle abbekamen, rüttelten sie aus ihrer Starre.
»Wir kommen aus Ludwigslust«, antwortete einer der Beamten.
Anna fragte sich, ob es noch schlimmer kommen konnte. Sie wusste freilich wo Ludwigslust war, aber gleichzeitig wusste sie auch, dass es noch sehr weit von Berlin entfernt war.
»Ich habe sonst keine andere Mitfahrgelegenheit, und vorhin habe ich schon gehört, dass ein Reiseruf für mich durchs Radio ging.«
Okay, das halten sie glattweg für erfunden, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die entgeisterten Mienen sah.
»Ein Reiseruf«, sagte ein anderer Beamter amüsiert.
»Ja, wenn Sie das Radio anschalten, hören Sie ihn vielleicht«, gab Anna zurück und versuchte, nicht genervt zu klingen. Immerhin ging es hier um eine Mitfahrgelegenheit. Keine besonders offensichtliche, aber irgendwann mussten die Beamten ja auch wieder los, denn Heiligabend würden sie doch bestimmt mit ihren Familien verbringen wollen. Es sei denn, die
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