Eine zweite Chance für den ersten Eindruck (German Edition)
das war es nicht, was ich dir zeigen wollte.“
Er stellt unsere Dessertteller auf den Schreibtisch und führt mich vor das imposante Bücherregal. Darin findet sich auf den ersten Blick einiges an zeitgenössischer Literatur, sowie ein paar Klassiker. Natürlich alles auf Englisch.
„Das ist ja genial. Darf ich hier einziehen, in diesen Raum?“ Eric lacht und drückt mich in den Sessel. Er schiebt mir einen Dessertteller rüber und setzt sich mir gegenüber auf einen Stuhl.
„Nein, mal im Ernst“, fahre ich fort. „Darf ich dich als Bücherei benutzen.“ Ich schiebe mir eine Gabel voll Brownie und Vanilleeis in den Mund.
„Natürlich. Deswegen habe ich es dir gezeigt. Du darfst mich auch noch für ganz andere Sachen benutzen, wenn dir danach ist“, antwortet er mit unbewegter Miene und macht sich dann über sein Dessert her.
Ich übergehe seinen anzüglichen Kommentar und betrachte die Fotos von Lucy. „Gibt es ein Foto von Lucy mit ihrer Mutter?“, frage ich, bevor ich mir der Tragweite dieser Frage bewusst werde. Eric funkelt mich wütend an und schmeißt seine Gabel auf den Teller.
„Eric, es tut mir leid. Bitte! Ich habe nicht nachgedacht.“
Mein Bitten macht seine Gesichtszüge wieder weicher. Er nimmt meine Hände und scheint mit seinen Worten zu hadern.
„Du musst gar nichts sagen. Das war einfach nur taktlos von mir“, versuche ich ihn weiter zu beschwichtigen.
„No, it’s ok. I’ll show you some pics, but only if you really want to”, seufzt er.
„Das wäre schön, aber du musst es wirklich nicht.“
„No, I want it. Meine Reaktion tut mir leid. Ich habe nur nicht damit gerechnet.“
In aller Stille genießen wir die Reste unseres Desserts. Als wir fertig sind, schiebt Eric die Teller beiseite und kommt zu mir, auf die andere Seite des Tisches.
„Kannst du mich da mal ranlassen?“, fragt er. Ich stehe aus dem komfortablen Sessel auf und Eric nimmt kurz Platz. Er schließt eine Schublade auf und holt ein Fotoalbum heraus.
„Ich muss das einschließen, sonst hätte Lucy es schon komplett abgenutzt. Sie hat ein Identisches, allerdings habe ich ihr die Fotos einschweißen lassen.“
Er will gerade aufstehen, doch ich drücke ihn an der Schulter wieder runter. Fragend sieht er zu mir auf.
„Bleib sitzen. Es ist dein Schreibtisch.“ Ich weiß nicht, ob es gut ist, was ich gerade möchte. Doch ich kann nicht so viel Abstand halten. „Kann ich auf deinem Schoß sitzen, wenn wir die Fotos ansehen?“, frage ich leise. Statt einer Antwort zieht Eric mich auf seinen Oberschenkel und legt mir einen Arm um die Taille. Er legt sein Kinn auf meine Schulter und schlägt die erste Seite auf. Dort klebt ein Ultraschallbild, auf dem ein roter Pfeil eingezeichnet worden ist, der auf einen kleinen Punkt deutet. Darunter steht Sixth week of pregnancy.
„Jasmin hat das Album angefangen, als wir von der Schwangerschaft erfahren haben. Ich habe nur die letzten Seiten ergänzt“, erläutert Eric.
Gemeinsam gehen wir das komplette Album durch. Es sind auch einige Bilder von Jasmins schwangerem Bauch dabei. Der Anblick versetzt mir einen Stich, doch ich schlucke meine schlechten Gefühle schnell runter, denn es gibt wohl kaum etwas Geschmackloseres, als auf eine tote Frau neidisch zu sein. Eric hat zu beinahe jedem Foto oder Andenken eine Geschichte. Manches erzählt er nur mit sehr belegter Stimme, aber er erzählt es von sich aus. Ich dränge ihn nicht. Jedes einzelne Foto zeigt deutlich, wie verliebt die beiden waren. Selbst wenn nur Jasmin auf den Fotos zu sehen ist, ihr Lächeln, dass sie Eric hinter der Kamera schenkt, spricht Bände. Als wir auf der letzten Seite angelangt sind, gibt es nur ein Foto. Jasmin und Eric mit einer neugeborenen Lucy auf dem Krankenbett. Beide völlig erschöpft und doch so glücklich. Eine Träne sickert durch den Stoff auf meiner Schulter. Ich drehe mich nicht zu ihm um, sondern nehme seine Hände und verschränke unsere Finger miteinander.
Es ist schon weit nach Mitternacht und ich muss dringend nach Hause. „Bringst du mich zur Tür? Es ist leider schon so spät und ich muss morgen arbeiten“, frage ich, als ich das Gefühl habe, dass er seine Fassung wiedergewonnen hat. Er nickt und wir stehen gemeinsam auf. Er geht hinter mir und lässt meine Hände nicht los. So wie wir gesessen haben, gehen wir auch die Treppe runter.
„Die Teller stehen noch oben“, fällt mir auf halbem Weg ein.
„Da kümmere ich mich später drum. Jetzt sehen wir erst
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