Eine zweite Chance für den ersten Eindruck (German Edition)
mal, dass wir dich sicher ins Auto bekommen.“
An der Haustür lässt er dann doch meine Hände los und hilft mir in den Mantel. Unsicher stehen wir uns gegenüber. Mir ist bewusst, wie sehr er sich mir heute geöffnet hat und was für ein großer Schritt das für ihn war. Ich gehe auf ihn zu und nehme sein Gesicht in meine Hände. Mit den Daumen streiche ich über seine Wangenknochen. Eric lehnt sich seufzend in meine Berührung und schließt die Augen. Den Augenblick nutze ich, um ihm einen Kuss auf die Wange, ganz nah an seinem Mundwinkel, zu drücken. Er reißt überrascht die Augen auf, doch bevor noch mehr passiert, trete ich wieder zurück.
„Danke für den schönen Abend, Eric. Es hat mir wirklich gut gefallen. Auch und gerade weil ich Lucy ins Bett gebracht habe.“
„Gute Nacht, Nina. Jederzeit wieder. Und, danke!“
Ich drehe mich um und gehe, grinsend wie ein Honigkuchenpferd, zu meinem Auto. Es geht mir gut und so wie es läuft, ist es richtig.
12.
Am nächsten Morgen erwartet mich Lucy gleich an der Tür zu meiner Gruppe.
„Guten Morgen, Lucy. Was machst du denn hier?“, frage ich sie und gehe an ihr vorbei in den Raum. „Solltest du nicht in deiner Gruppe sein?“
Sie sieht mich angestrengt an und kämpft um die richtigen Worte. „Ich habe gesagt, ich muss reden mit Miss Nina. Miss Kristina knows where I am.“
Ich lege meine Jacke und Tasche ab und hocke mich dann vor Lucy. „Ich habe es dir schon mal gesagt, du kannst mich Nina nennen. Wir nennen uns hier alle nur beim Vornamen. Okay?“
Lucy sieht mich kopfschüttelnd an. „Ich versuche zu remember, aber sometimes I don’t even know what you are talking about.“
Ihre Unterlippe fängt an zu zittern, doch bevor die ersten Tränen kommen, nehme ich ihre Hände, damit sie mich ansieht. „Lucy, du machst das ganz toll. Ich weiß, dass es für dich manchmal schwierig ist, aber wir sind alle für dich da und niemand schimpft, wenn du etwas nicht verstehst und noch mal nachfragst. Hast du das verstanden?“
Sie kratzt sich nervös am Arm und nickt. Eric hat mir erzählt, dass sie schon seit ein paar Monaten mit ihr teilweise Deutsch sprechen. Es würde mich auch wundern, wenn sie in den paar Wochen schon solche Fortschritte gemacht hätte. Normalerweise verhalten sich fremdsprachige Kinder in den ersten Wochen uns gegenüber eher wortkarg. Die Kinder untereinander scheinen dagegen nie Verständigungsprobleme zu haben.
„Warum bist du denn hier? Wolltest du mir etwas sagen?“, frage ich sie.
„Thank you sagen, because du hast für mich gelesen gestern Abend. That was very nice.“
Je mehr sie redet, desto mehr vermischt sie die Sprachen. Es ist niedlich und manchmal bin ich wirklich versucht, ihr auf Englisch zu antworten, nur um es ihr ein wenig einfacher zu machen.
„Das habe ich sehr gerne gemacht, Lucy.“
„Will you do that again?“, fragt sie aufgeregt. Sie kann natürlich nicht verstehen, dass ich ihre Frage nicht einfach so bejahen kann.
„Wenn sich die Gelegenheit ergibt und dein Daddy damit einverstanden ist, dann sehr gerne.“
Meine Antwort reicht Lucy, um einen kleinen, aber lautstarken Jubeltanz aufzuführen, der meine Kollegin Martina dazu bewegt, uns einen irritierten Blick aus der Küche zuzuwerfen.
Als Lucy sich wieder in ihre Gruppe getrollt hat, sieht Martina mich fragend an.
„Was?“, frage ich ungehalten.
„Lucys Vater?“
„Ja, Lucys Vater. Nein, ich habe ihn nicht hier aufgegabelt. Und ja, es ist kompliziert“, antworte ich in einem Ton, der keine weiteren Fragen zulässt. Als ich den Küchenbereich verlasse, um die Bastelecke vorzubereiten, höre ich meine Kollegin die Melodie von Love is in the air pfeifen. Blödes Huhn.
Der Abend bringt einen der ersten herbstlichen Gewitterstürme. Ich habe mich gerade mit einem heißen Kakao und meiner Kuscheldecke auf die Couch verkrochen, als es an der Tür klingelt. Genervt werfe ich meine Decke wieder beiseite und gehe an die Sprechanlage.
„Ja?“, frage ich mürrisch.
„Hier ist Eric. Kann ich kurz raufkommen?“ Er hört sich abgekämpft an und muss tropfnass sein, denn draußen schüttet es aus Eimern. Ich drücke ihm die Tür auf und warte, dass er die Treppe heraufkommt. Mit einer großen, weißen Schachtel, die das Logo meiner Lieblingskonditorei trägt, joggt er mir entgegen. Das Wasser läuft ihm aus den Haaren und auch seine Laufklamotten sind durchnässt.
„Was machst du hier?“, frage ich entgeistert.
Er braucht
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