Einem Tag in Paris
Bühne. Aber Chantal ist schon in Bewegung, und bald sind sie wieder in der Rue Mouffetard, und der Lärm des Marktes übertönt die Akkordeons.
Sie gehen an den Ständen vorbei, die die schmale Straße zu beiden Seiten säumen. Die meisten sind von bunten Markisen überdacht, und die Tische sind beladen mit frischem Gemüse, herrlichem Obst, Schalen mit Oliven, einer Fülle von Blumen. Chantal spricht über die Fleischstücke, die verschiedenen Fische, die Einteilung der Käsesorten. Jeremy stellt gute Fragen – er will verstehen, warum der Käse in Frankreich von solch hervorragender Qualität ist, warum es hier Obst und Gemüse gibt, das er noch nie gesehen hat, und was man mit den Blättern von Wildem Lauch anfängt.
Chantal knöpft ihre Strickjacke auf – auf dem Markt ist es beengt und heiß. Leute rempeln sie und Jeremy an und drücken sie aneinander. Sie trägt eine hellrosa Bluse. Jeremy fällt auf, dass sie bis jetzt noch nie irgendwelche Farben getragen hat. Ihre ganze Garderobe scheint ausschließlich aus Grautönen und Schwarz zu bestehen.
Sie sieht ihn an; sein Blick ruht auf ihrem Hals. Er sieht rasch weg.
»Erzählen Sie mir vom Olivenöl«, sagt er. Vor ihnen stehen ein Dutzend Flaschen Olivenöl, und ein fleischiger Mann fordert sie auf, eines zu kosten. Jeremy tunkt ein Stück Brot in ein kleines Schälchen mit Öl. Während er sich das Öl auf der Zunge zergehen lässt, wird ihm bewusst, dass er heute noch gar nichts gegessen hat, und auf einmal hat er einen Bärenhunger. Er kostet jedes einzelne der verschiedenen Öle, tunkt Baguettescheiben in jede Schale, und Chantal lacht über seinen kräftigen Appetit. Dann kauft er zwei Flaschen des besten Öls, eine für Chantal und eine, um sie mit nach Hause zu nehmen. Der Geschmack wird ihn für immer an dieses seltsame Frühstück mit Chantal erinnern.
Als sie den Markt schließlich verlassen, tragen beide Plastiktüten über den Armen, als wären sie auf einem Einkaufsbummel gewesen, nicht bei einer Französischstunde. Chantal steckt ein Baguette in ihre Einkaufstüte. Sie haben nicht übers Mittagessen gesprochen, aber Jeremy stellt sich ein pique-nique in einem der versteckten Parks vor, an denen sie auf ihren vielen Spaziergängen vorbeigekommen sind.
Sie biegen in eine Seitenstraße ein – eine Art mittelalterliche Fußgängerzone –, und im nächsten Augenblick ist der Lärm des Marktes verstummt. Sie schweigen einen Moment, und dann sagt Chantal, dass sie zum Jardin des Plantes gehen werden, wo es ein Naturkundemuseum gibt. Sie denkt, dass ihn das interessieren wird.
»Ja, das wird es bestimmt«, sagt er, zufrieden mit der Idee.
An ihrem zweiten gemeinsamen Tag sind sie durch ein Viertel voller Antiquitätengeschäfte gegangen, sodass Chantal ihm die Sprache der Möbel, des Schmucks und der Kunst beibringen konnte. Als sie bemerkte, dass er den verschiedenen Holzarten in den besten Antiquitätenmöbeln seine besondere Aufmerksamkeit schenkte, sorgte sie dafür, dass sie beide mit einem Mann sprechen konnten, der Antiquitäten restaurierte. Sie standen in dem entzückenden Durcheinander des Ateliers des alten Mannes, mit dessen tiefer, gesetzter Stimme im Ohr und den Gerüchen des Holzes und der Lösungsmittel und Chantals duftendem Parfüm in der Nase. Spätnachmittagslicht flutete durch die kleinen, hohen Fenster des Geschäfts, und Jeremy dachte: Hier bin ich glücklich. Hier gehöre ich hin.
Was für ein seltsamer Gedanke für ihn. Er hat noch nie im Ausland leben wollen.
Er hat sein Leben lang in Kalifornien gelebt und erst zu reisen begonnen, als er vor elf Jahren Dana kennenlernte. Er ist ein häuslicher Mensch; er will seinen Hund und seine Hausprojekte und seine Bücher und seinen Sessel vor dem Kamin. Er und Dana leben in Santa Monica Canyon, und er begleitet sie nur zu Hollywood-Events, wenn sie darauf besteht, was sie zum Glück nur selten tut. Er besitzt ein paar Anzüge, aber am wohlsten fühlt er sich in seiner Arbeitskleidung. Wenn er tagelang mit einem Projekt außer Haus beschäftigt ist – etwas restauriert, das nicht zu seiner Werkstatt gebracht werden kann –, fühlt er sich unruhig, als wäre er aus seiner Haut geschlüpft. Er kann es kaum erwarten, abends nach Hause zu kommen. Warum hat er dann jetzt, in einer fremden Stadt, das Gefühl hierherzugehören?
Er denkt darüber nach, was in dieser Woche, die er mit Chantal verbracht hat, passiert ist. Er hat Paris mit neuen Augen gesehen. Nicht nur sein
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