Einen Stein für Danny Fisher: Roman
schlimm um uns stand. "Das hab ich nicht gewußt", sagte ich. "Mamma hat mir nie was davon geschrieben."
Sie sah mich sehr ernst an. "Du weißt ja, wie die Mamma ist. Sie würde nie über so etwas schreiben."
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich griff verlegen in die Tasche und holte eine Zigarettenpackung hervor. Ich steckte mir eine Zigarette in den Mund und war im Begriff sie anzuzünden, als Mimi mich unterbrach.
"Mir auch, Danny", sagte sie.
Ich hielt ihr die Packung hin. "Ich hab nicht gewußt, daß du rauchst", sagte ich überrascht.
"Und ich hab wieder nicht gewußt, daß du rauchst", entgegnete sie. Sie sah ins Haus hinein. "Aber wir müssen sehr vorsichtig sein, damit uns die Mamma nicht erwischt, sonst kriegen wir's alle beide."
Wir lachten und verbargen unsre Zigaretten in den Handhöhlen.
"Ich bin froh, daß ich im Sommer maturiere", sagte Mimi, "dann bekomm ich vielleicht eine gute Anstellung und kann wirklich helfen."
"Steht's tatsächlich so schlimm, wie?" fragte ich nachdenklich.
"Ja", antwortete sie unumwunden. "Mamma spricht sogar schon davon, das Haus hier aufzugeben. Wir können die Zinsen für die Hypothek nicht mehr aufbringen."
"Das dürfen wir nicht!" Jetzt war ich aufrichtig erschrocken. Doch nicht mein Haus! Ich konnte es einfach nicht glauben.
Mimi zuckte ausdrucksvoll mit den Achseln. "Ob wir's tun dürfen oder nicht, hat nichts damit zu tun. Wir haben einfach kein Geld."
Ich schwieg einen Moment. Ich war kein Kind mehr und hatte auch nie wirklich geglaubt, daß es mein Haus sei, wie Papa einmal gesagt hatte, aber ich wollte auch nicht gezwungen werden, von hier auszuziehen. Irgendwie quälte mich der Gedanke, daß andere Leute in diesem Haus leben, eine andere Familie in unsrer Küche essen, jemand andrer in meinem Zimmer schlafen sollte. Ich war gern hier und wollte nicht weg.
"Vielleicht war's gut, wenn ich aus dem Gymnasium austräte und mir eine Stelle suchte", sagte ich nach einiger Überlegung.
"Nein, Danny, das darfst du nicht!" rief Mimi, heftig protestierend. "Du mußt das Gymnasium absolvieren. Mamma und Papa haben ihr Herz daran gehängt."
Ich schwieg.
"Mach dir keine Sorgen, Danny", sagte sie tröstend und legte mir ihre Hand auf die Schulter. "Es wird sich noch alles wunderbar lösen. Ich weiß es ganz bestimmt."
Ich sah sie hoffnungsvoll an. "Glaubst du's wirklich?"
Sie lächelte. "Natürlich." Damit stand sie auf und warf ihre Zigarette in den Rinnstein. "Ich geh jetzt lieber hinein und helfe beim Geschirrspülen, sonst setzt's mit der Mamma noch Krach."
Ich hoffte, daß sie mit ihrem Optimismus recht behielt. Sie mußte recht behalten! Wir durften von hier nicht wegziehen! Für mich gab's doch keinen andern Ort, an dem ich leben wollte.
14
Mein Name ist Danny Fisher und ich bin fünfzehn Jahre und vier Monate alt. Ich gehe in die sechste Klasse des Erasmus Hall-Gymnasiums und besuche die Vormittagsstunden. Jetzt ist's ein Uhr Nachmittag, und damit ist die Schule für heute vorbei. Ich stehe an der Ecke der Flatbush und Church Avenue und lasse die Schüler auf ihrem Heimweg an mir vorbeipassieren.
Man behauptet, daß mehr als dreitausend Schüler das Gymnasium besuchen, und in diesem Augenblick sieht es so aus, als würden alle auf einmal gerade an dieser Ecke vorbeigehen . Sie lachen und reden durcheinander, und einige necken die Mädchen. Ich sehe ihnen mit neidischen Blicken zu. Sie haben keine Sorgen.
Sie brauchen sich bis morgen, wenn sie wieder in ihre Schulklasse müssen, um nichts zu kümmern. Nicht so wie ich. Denn ich habe ein Haus, mein kostbarstes Gut, das ich mir erhalten will. Folglich muß ich arbeiten. Ich blicke auf die Schaufensteruhr. Es ist bereits einige Minuten nach eins. Ich hab's jetzt eilig, denn ich muß um halb zwei an meinem Arbeitsplatz sein.
Ich gehe die Flatbush Avenue entlang. Es ist spät im Oktober, und die erste Winterkälte durchschauert mich. Ich ziehe meinen Lumberjack fester um mich. Vor einem Lichtspieltheater bleibe ich einen Augenblick stehen, um die Bilder zu betrachten. Scheint ein prima Film zu sein - während ich noch dort stehe, gehen einige Schulkameraden hinein, um sich ihn anzusehen. Ich würde mir ihn auch gern ansehen, aber ich habe keine überflüssige Zeit. Und dann gehe ich wieder weiter.
Das gute Geschäftsviertel liegt jetzt hinter mir. Hier sind die Geschäfte kleiner und beziehen ihren Kundenkreis bloß aus der nächsten Umgebung, nicht wie die großen Warenhäuser der Avenue,
Weitere Kostenlose Bücher