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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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eine Antwort. »Die Meinungen in der Feldwebelmesse sind darüber geteilt«, erklärte er. »Ein Teil meiner Kameraden von der RAF gab seiner Befürchtung Ausdruck, daß wir tatsächlich den Rest der Strecke, das heißt also vom Mittelatlantik bis Halifax, allein zurücklegen …«
    Sieben Männer nahmen an diesem Gespräch teil. Sie sahen sich bedeutungsvoll an. Offenbar war der Plan, den Werra am Abend vorher geäußert hatte – den Dampfer zu erobern und mit ihm nach Spanien oder Frankreich auszubrechen –, nicht ganz so irrsinnig, wie es im ersten Augenblick geschienen hatte. Sie sprachen halblaut darüber, mit dem Ton von Männern, die sich keine Illusionen machen, andererseits aber entschlossen sind, auch die geringste Chance zu nutzen.
    »Glauben Sie, daß Sie noch einmal rüberkommen – zu den Tommies?« fragte Kommodore Scharff. Werra grinste.
    »Warum nicht? Das Essen war ausgezeichnet. Niemand hat auch nur den geringsten Verdacht geäußert. Im Gegenteil. Sie halten mich für a jolly good chap – für einen holländischen Flieger bei der RAF. Ich werde so oft drüben speisen, wie es geht. Außerdem gibt es noch andere Möglichkeiten. Ich bin nach dem Essen in die Küche gegangen. Drei unserer Männer waren dort mit Geschirrspülen beschäftigt. Wir könnten uns mit den Soldaten einigen, daß ein Offizier, der gut Englisch spricht, Küchendienst übernimmt. Das heißt, er muß sich von einem Soldaten die Uniform borgen. Von der Küche aus muß es möglich sein, weiter in das Schiff vorzudringen …«
    »Das wäre was für den Chief!« sagte einer der U-Bootkommandanten. »Kommen Sie mit, ich mache Sie mit ihm bekannt …«
    Auf diese Weise machte Werra die Bekanntschaft des Mannes, der von seinen Kameraden nur der ›Chief‹ genannt wurde – ein englischer Spitzname, den er sich im Gefangenenlager wegen seiner Kaltblütigkeit und seiner natürlichen Fähigkeit, andere anzuführen, erworben hatte.
    Der Chief hieß Hauptmann Brinckfeld und war Marineflieger. Sein Schicksal hatte ihn während eines Seeaufklärungsfluges über der Nordsee ereilt, als seine langsame He 115 die leichte Beute einer Rotte schneller Spitfire-Maschinen geworden war. Ein englisches Flugboot hatte ihn mit seiner Besatzung aus dem Wasser gefischt.
    Rein äußerlich konnte man sich nicht leicht einen größeren Unterschied zwischen zwei Männern denken, als zwischen Brinckfeld und Werra. Der kleine Werra gehörte zu den Menschen, die im ersten Augenblick unscheinbar und harmlos aussehen. Erst wenn er zu reden anfing, wenn seine blauen Augen über irgendeinen Lausbubenstreich zu funkeln begannen, wenn er mit den Händen sprach und von Zeit zu Zeit in ein ansteckendes Gelächter ausbrach, erkannte man, welche dynamische Persönlichkeit in dem kleinen, zierlichen Jungen steckte. Dagegen war der Chief eine männliche Idealfigur. Er war groß, breit in den Schultern, schmal in den Hüften. Er hielt sich gerade und pflegte, wenn er saß, sein Gegenüber aus halbgeschlossenen Lidern zu mustern. Seine Sprache war knapp, kurz und überaus präzise. Meist rauchte er eine Shagpfeife, die er auf eine kuriose Weise zu stopfen pflegte. Anstatt den englischen Plattentabak zu zerreiben, faßte er ein Bündel der Fasern mit seinen langen, eleganten Fingern, stellte sie aufrecht in die Pfeife und stopfte sie dann hinein. Diese Bewegung geschah fast automatisch, denn Brinckfeld liebte seine Pfeife über alles, und während andere sprachen, pflegte er kleine, hellblaue Rauchwölkchen von sich zu geben und fast immer nur gespannt zu lauschen. Sprach er aber, dann schwiegen alle anderen. Denn der Chief besaß die Gabe, das, worüber man eine halbe Stunde verhandelt hatte, in drei kurzen Sätzen zusammenzufassen. Seine Urteile trafen fast immer den Nagel auf den Kopf.
    »Ich gehe morgen mit Ihnen in die Küche!« sagte er kurz.
    Die entschlossene Art des Chiefs gefiel Werra. Außerdem stellte er fest, daß sein neuer Verbündeter ein fehlerfreies, kultiviertes Oxford-Englisch sprach.
    »Wo haben Sie es gelernt?« fragte er ihn.
    »Meine Mutter war Engländerin«, erklärte Hauptmann Brinckfeld. »Ich bin als Kind ein paar Mal zu Verwandten nach England gereist. Außerdem habe ich oft mit meiner Mutter englisch gesprochen …«
    ***
    Werra und der Chief wurden die Initiatoren eines Planes, der von diesem Augenblick an immer festere Gestalt annahm. Man sagte nicht länger ›eine irrsinnige Idee‹, sondern man begann die einzelnen Schachzüge des

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