Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
Vom Netzwerk:
schob sich die Linie langsam vorwärts. Mr. Youdale blieb mit seinen Hunden in der Nähe des Ausgangspunktes. Zwei andere Männer blieben bei ihm.
    Die Linie der Jäger entfernte sich langsam, ihre Stimmen und Rufe verklangen auf dem Moor. Nichts deutete darauf hin, daß sie den Flüchtling sahen. Mr. Youdale fühlte sich nicht sehr wohl in seiner Haut. »Und er muß doch irgendwo hier sein!« erklärte er tapfer.
    In diesem Augenblick entdeckte einer der Zurückgebliebenen, ein Mr. Staples, plötzlich eine leise Bewegung zwischen zwei Grasbüscheln, nur ein paar Meter vor ihnen auf einer feucht aussehenden Stelle. »Seht doch mal dort!« sagte er und lief hin. Das feuchte Stück sah fest aus; aber er sank sofort bis über die Knöchel ein. Beinahe wäre er auf den Mann getreten.
    »Hier ist er!« rief Mister Staples.
    »Ja, hier bin ich!« sagte der Mann und lachte.
    Oberleutnant Franz von Werra lag auf dem Rücken, sein Körper und seine Arme waren tief im Moor versunken; nur ein helles, frischrasiertes Gesicht leuchtete zwischen zwei Büscheln Sumpfgras hervor.
    Zwei Minuten später trug er Handschellen.
    Diesmal entwischte er nicht mehr.
    Er wurde auf der Stelle nach Waffen durchsucht. Aber die einzige tödliche Waffe, die er bei sich führte, war ein zum Spitzdolch zurechtgefeiltes Tischmesser mit Beingriff. Er hatte gehofft, Hühner oder vielleicht ein Schaf damit schlachten zu können.
    In seinen Taschen fand man weiter eine Kakaobüchse mit seinem Rasierzeug, eine zweite Büchse mit dem Rest seiner ›Eisernen Portion‹, anderthalb Riegel Schokolade; ferner ein Eisernes Kreuz und seine von der Uniform abgeschnittenen Dienstgradabzeichen, die er brauchte, um sich als entflohener Kriegsgefangener auszuweisen, falls er auf der Flucht in ernsthafte Schwierigkeiten geraten sollte. Außerdem kamen drei Äpfel zum Vorschein und rund drei Schillinge in Münzen. Der selbstgemachte Kompass, die Karte und die Notizen über militärische Angelegenheiten und den britischen Geheimdienst wurden nicht gefunden. Er hatte diese Dinge offenbar in einer Blechbüchse aufbewahrt, die er geistesgegenwärtig ins Moor drückte, als er sich entdeckt sah.
    Werra sagte wenig und hob nur die Schultern, als er an einen Polizisten angeschlossen wurde. Die Blicke und Bemerkungen der Soldaten ließen ihn kalt. Es störte ihn auch nicht im geringsten, als die beiden Bluthunde aufgeregt an seinen Beinen schnupperten. Im Gegenteil – er lockte sie auf und schnalzte mit der Zunge. Die Hunde blickten zu dem Mann auf, den sie nicht gefunden hatten, stellten die Ohren hoch und begannen freundlich zu wedeln.
    Einer der Konstabler zog sie schnell weg. Offenbar fand er, daß sich die Hunde nicht richtig benahmen.
    Werras Kleidung war mit Moorschlamm besudelt. Auf seinem Gesicht und in seinem Haarschopf klebten zähe Spritzer des schwarzen Modders. Doch trotz seiner misslichen Lage und seiner ramponierten Erscheinung und obwohl er klein neben dem riesigen Polizisten wirkte, an den er gefesselt worden war, blieb seine Haltung ungezwungen.
    Als der ganze Tross den Hügel hinunter zu ›Wanderers Ruh‹ zog, ging er schnell, mit hochgehobenem Kopf und zurückgeworfenen Schultern.
    In der Kneipe bekam er eine Tasse Tee. Heiß, stark und süß. Er hatte nie im Leben etwas Besseres getrunken! Einer der Soldaten gab ihm eine Zigarette, und während er seinen Tee trank und dazu rauchte, kam langsam die Reaktion auf die Anstrengung, den Hunger, das Frieren und die seelische Anspannung der vergangenen sechs Tage über ihn.
    Es war vorüber. Er hatte die Partie verloren, aber er hatte bis zur letzten Sekunde gekämpft. Halb verhungert, frierend, nass bis auf die Haut gegen ein paar tausend kräftige, ausgeruhte Männer …
    Langsam wich der Krampf aus Geist und Körper. Er fühlte sich wie ausgeleert, sein Kopf schien zu schwimmen. Jetzt erst spürte er, wie seine Muskeln schmerzten, wie steif seine Gelenke waren; sogar die Finger, die die Tasse hielten, waren kraftlos. Bis in die Knochen hinein quälte ihn die Übermüdung. Seine Lider waren schwer wie Blei, im Hinterkopf bohrte ein dumpfer Schmerz. Schlafen, nur schlafen!
    Irgend jemand rüttelte an seiner Schulter.
    »Zeit zum Aufbruch!«
    »Heh?«
    »Aufstehen! Wir müssen fort!«
    Mit überraschender Bereitwilligkeit stand er auf, schüttelte den Schlaf aus den Augen und war nur bemüht, keine Schwäche zu zeigen.
    Auf einem Weg zur Polizeiwache Ulverston fragte ihn der Oberkommissar nach dem Grund

Weitere Kostenlose Bücher