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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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wurden.
    Der Wagen fuhr nach links, am Rollfeld entlang. Offenbar lagen die Stabsgebäude in der anderen Ecke des Platzes.
    Äußerlich war er jetzt Captain van Lott, ein müder Bomberpilot, der britische Feldflugplätze bis zum Überdruss kannte. Lässig ließ er seinen Arm über die Rückenlehne hängen und guckte vor sich hin, als ginge ihn die Umgebung gar nichts an. Aber aus halbgeschlossenen Augen nahm er in Wirklichkeit jede auch noch so geringe Einzelheit wahr. Alles deutete auf strengen militärischen Schulbetrieb: die sauberen Wege, die weißgekalkten Steine an den Rändern, die Nüchternheit der ganzen Anlage. Kein Streichholz, kein Zigarettenstummel, kein Papierfetzen lag herum. Englischer Kommiss. Er las Schilder, englische Schilder – aber daneben welche in einer ihm unbekannten Sprache mit merkwürdigen Akzenten.
    »He«, sagte er zu dem Fahrer, »ich meine, wir seien in England!«
    »Das ist Polnisch, Sir!«
    »Wieso das?«
    »Polnische Fliegerschule hier«, erwiderte der Mann und bog in einen Seitenweg ein. »Dachte, Sie wüssten Bescheid!«
    »Viele Polen hier?«
    »Ein paar Hundert, Sir.«
    »Vielleicht auch Landsleute von mir – Holländer?«
    »No, Sir. Nur Polen.«
    »Aber Commander Boniface ist doch Engländer?«
    »O ja, Sir, alle Offiziere vom Stab sind Engländer.«
    Ihm fiel ein Stein vom Herzen. »Teufel«, dachte er, »wenn hier nun holländische Piloten geschult würden!« Er war sich klar, daß er bei denen den Captain van Lott keine fünf Minuten hätte spielen können. Und mit den Polen würde es auch verflucht schwer gegangen sein, schon wegen der Sprachschwierigkeiten. Gut, daß Herr Bonifacius ein Engländer war. »In der nächsten Stunde«, denkt Werra, »muß es sich entscheiden. In der nächsten Stunde bin ich entweder erwischt oder – ich fliege über den Kanal. Die Küste von Frankreich liegt vor mir. Da unten ist Samer. Herunterdrücken, tief anfliegen, wackeln, landen – frei, frei und bei meinen Kameraden – der erste Deutsche, dem es gelang, England mit einem Flugzeug zu verlassen!«
    »Sind gleich da«, sagte der Fahrer.
    »Und wenn es schief geht«, denkt Werra, »wenn sie aus allen Rohren nach mir schießen? Bis zur Küste sind viele Meilen, wenn der Alarm eher da ist als ich, wenn Jäger aufsteigen und mich fertigmachen? Oder wenn mich die eigenen Kameraden nicht erkennen und mich abschießen?«
    Der Wagen fuhr jetzt an den Hangars vorbei. Ach, du kriegst die Motten – was waren das für vorsintflutliche Maschinen! Zweimotorige Doppeldecker, ein paar einmotorige Hochdecker, müde Schulmaschinen – für eine Flucht völlig ungeeignet. Da hinten standen zwei veraltete Bomber, aus einer Zeit, da Karl der Kahle noch als Heckenschütze flog. Werras Laune fiel auf den Nullpunkt. Verzweifelt ließ er seine Augen über das Rollfeld wandern.
    Da!
    Da hinten, das mußten doch … Kein Zweifel, das waren Hurricanes. Sie standen etwa zweihundert Meter vor einem getarnten Hangar, ganz links in der Ecke des Platzes. Er hatte sie nicht sehen können gegen das matte Graugrün der Hallentore. Die Sonne war jetzt hinter dem Dunst des Horizonts herausgekommen, jetzt blitzte ihr rötlicher Schein auf den silbernen Leibern der drei Jäger. Die Motorhauben schienen noch nicht entfernt, aber die Maschinen waren nicht abgedeckt. Die mußten startklar sein, wahrscheinlich war es die Schutzstaffel für den Platz!
    Hurricanes! Eine Hurricane hatte ihn abgeschossen, in einer Hurricane würde er nach Hause fliegen!
    Der Wagen hielt plötzlich. Das war also das Stabsgebäude, ein einstöckiger, lang gestreckter Bau aus roten Ziegeln. Der Fahrer führte ihn in einen Vorraum. Es roch nach Bohnerwachs, Uniformen, kaltem Rauch und Aktenstaub. Kein Mensch war zu sehen. Ihre Schritte hallten auf dem Korridor. Etwa in der Mitte auf der linken Seite trug eine Tür die Aufschrift ›Station Adjutant‹.
    Der Fahrer klopfte.
    »Herein!« sagte die Stimme des Offiziers vom Dienst, Oberleutnants Thomas Ivanhoe Plant.
    Oberleutnant Plant hatte das Auto und gleich darauf die Schritte der Männer auf dem Korridor gehört. Er stand hinter seinem Schreibtisch auf und machte sich daran, die Verdunkelung von den beiden Fenstern zu entfernen. Er wollte etwas zu tun haben, wenn der geheimnisvolle Holländer hereinkam. Das würde ihm Gelegenheit geben, den Mann erst einmal ein wenig zu mustern, ehe er ihn ansprach.
    Er drehte an einem Haken herum, in dem sich die Öse des mit schwarzem Tuch überzogenen

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