Einer trage des anderen Schuld
ein Familienmitglied mit einer solchen Aufgabe zu betrauen? Es gibt …«
Ballinger wischte den Einwand mit einer Geste beiseite. »Du bist der beste Anwalt in ganz London, wenn nicht sogar in England, Oliver. Und ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass du härter für mich kämpfen wirst, als jeder andere das könnte. Du bist mein Schwiegersohn, Teil meiner Familie. Ich bin mir zwar sehr wohl dessen bewusst, dass man keines seiner Kinder bevorzugen soll, aber Margaret ist mein besonderer Liebling. Das war sie schon immer. Sie ist von einer Loyalität und Sanftmut wie keine andere meiner Töchter. Du wirst alles für mich tun, was einem Menschen nur möglich ist.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht, dass das nötig sein dürfte. Die ganze Anklage ist ein Konstrukt aus aufeinandergetürmten Zufällen, weil Monk keinen Begriff von der Verantwortung eines Anwalts für seine Mandanten hat. Außerdem ist er auf einer persönlichen Ebene emotional darin verwickelt. Das liegt an seiner Frau und dem kleinen Lumpensammler, den sie in ihr Herz geschlossen hat, weil die Arme anscheinend keine eigenen Kinder bekommen kann.«
In diesem Moment spürte Rathbone seine Gewissensbisse so intensiv, dass sie ihm wie ein Stich ins Herz erschienen. Im Prozess gegen Jericho Phillips hatte er Hester der Lächerlichkeit preisgegeben. Während ihrer Aussage hatte er sie als kinderlose Frau dargestellt, die einen kleinen Jungen aus der Gosse an Kindes statt aufgenommen hatte, um ihre Einsamkeit und innere Leere auszugleichen, und sich davon ihre Urteilsfähigkeit hatte trüben lassen. Die Geschworenen hatten ihm geglaubt und Hesters Aussage verworfen. Seitdem hatte er nicht mehr mit ihr darüber gesprochen und wusste darum auch nicht, ob sie ihm diesen Verrat jemals wirklich verziehen hatte. Er selbst hatte das jedenfalls nicht gekonnt.
»Wir müssen auf gewisse Indizien Antworten finden.« Nur mit Mühe beherrschte Rathbone seine Gefühle. Er schuldete Ballinger seine Treue, da dieser nun sein Mandant war und um sein Leben kämpfen würde, falls der Prozess tatsächlich zustande kam. Und natürlich auch deshalb, weil er Margarets Vater und damit auch ein Teil von Rathbones Leben war, des Teils, von dem er sich nie würde abwenden können.
»Selbstverständlich«, stimmte Ballinger ihm zu. »Was sind das für Beweise, die er zu haben glaubt? Ich kann mir nichts darunter vorstellen.«
»Eine von dir geschriebene Nachricht für Parfitt mit der Aufforderung, dich auf seinem Boot zu treffen, die ihm ein, zwei Stunden vor seinem Tod vor Zeugen überbracht wurde. Als er sie gelesen hatte, schickte er sofort nach ’Orrie Jones, damit er ihn hinausruderte.«
Ballinger wurde aschfahl. Einen Moment lang schien es, als hätte er die Sprache verloren. Das mochte am Schock liegen, doch Rathbone beschlich die quälende Furcht, dass es Schuldgefühle waren.
»Das ist … unmöglich!«, brachte Ballinger schließlich hervor. »Wer sagt das? Monk?«
»Ja. Und er muss im Besitz eines solchen Briefes sein, sonst würde er sich nicht so weit aus der Deckung wagen, selbst wenn du ihn für unmoralisch genug hältst, es einfach darauf ankommen zu lassen.«
»Dann ist das eine Fälschung«, sagte Ballinger wie aus der Pistole geschossen. »Herrgott, Oliver, was, um alles in der Welt, könnte ich mit einem Subjekt wie Parfitt zu schaffen haben?«
»Ihn im Namen eines Mandanten kaufen«, meinte Rathbone und spürte, wie er immer tiefer in einem Morast versank, doch merkwürdigerweise funktionierte sein Verstand völlig normal, als wäre er von ihm losgelöst wie bei einem Zuschauer, der interessiert diese verzweifelte, doch hochzivilisierte Aussprache über Mord und Verrat verfolgte.
Ballinger zögerte; offenbar erwog er seine Antwort sorgfältig.
Rathbone beobachtete ihn dabei, während ihm am ganzen Körper der Schweiß herunterrann, so sehr sorgte er sich, der Mann würde gleich zugeben, dass es tatsächlich um seine eigene Erpressung ging. Aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung als Strafverfolger und Verteidiger hätte Rathbone eigentlich gegen Überraschungen gefeit sein müssen, doch er konnte einfach nicht glauben, dass Arthur Ballinger sich in Parfitts grausame Geschäfte hatte verwickeln lassen.
Bloß – warum eigentlich nicht? Schätzte er Ballinger als so moralisch ein? Als so überaus glücklich in seinem gegenwärtigen Leben? Und was hielt dieser Mann eigentlich von ihm – nicht als seinem Schwiegersohn, als Mann seiner
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