Einer trage des anderen Schuld
Bruchstücke, die nicht zueinanderpassten und sich einfach nicht zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzen ließen.
»Vielleicht erreichst du das, ohne andere zu zerstören«, fuhr Ballinger fort. »Aber wenn du Monk nicht vor sich selbst bewahren kannst, musst du eben dem Gesetz und deinem eigenen Sinn für Gerechtigkeit folgen. Dann hast nicht du ihm Schaden zugefügt, sondern er allein sich selbst.«
»Ich werde tun, was ich kann«, versprach Rathbone feierlich. »Wie die Dinge im Moment stehen, werde ich in der Lage sein, den Staatsanwalt in praktisch jedem Punkt infrage zu stellen. Aber natürlich werde ich nicht ruhen, bis die Klage verworfen ist.«
Ballinger lächelte. »Danke. Ich wusste, dass du das für mich tun würdest.«
10
Es war der Abend vor dem Beginn des Prozesses gegen Arthur Ballinger. Rathbone saß in seinem Ohrensessel vor dem Kaminfeuer, das noch gar nicht hätte brennen müssen, aber wohltuende Behaglichkeit verbreitete. Margaret, die ihm gegenübersaß, beschäftigte sich mit einer Strickarbeit, bei der sie jede neue Masche ständig gleich wieder auftrennte.
»Wen werden sie als Ersten in den Zeugenstand rufen?«, fragte sie, die Augen eindringlich auf Rathbone gerichtet, das Gesicht angespannt. Im Lichtschein der Gasleuchte links von ihr waren Schatten unter ihren Augen zu sehen, die Rathbone bei Tageslicht nicht aufgefallen waren. Er empfand tiefes Mitleid mit ihr. Wie gern hätte er ihr Trost gespendet, doch Versprechen, die nicht gehalten werden konnten, waren schlimmer als keine. Brach er sein Wort, würde Margaret ihr Vertrauen zu ihm für immer verlieren, und das durfte er nicht zulassen.
»Oliver«, fügte sie hinzu, »wen werden sie als Ersten aufrufen?«
»Wahrscheinlich Monk«, antwortete Rathbone.
»Warum ihn? Er hat die Leiche dieses abscheulichen Kerls doch gar nicht gefunden. Warum nicht den Polizisten, der darauf gestoßen ist?«
»Vielleicht wird er später aufgerufen, aber solche Verhöre sind zäh und ändern nichts am Sachverhalt. Es ist gefährlich, Geschworene zu langweilen.«
»Um Himmels willen! Das ist doch keine Unterhaltungsveranstaltung! Die Geschworenen sind dazu berufen worden, die wichtigste Aufgabe ihres Lebens zu verrichten und nicht, um sich zu zerstreuen!«
Rathbone versuchte, in neutralem Ton zu antworten und jede Emotion herauszuhalten, die seiner Stimme Schärfe verleihen würde. »Das sind einfache Leute, Margaret. Sie haben Angst davor, Fehler zu machen, und erstarren in Ehrfurcht vor der Verantwortung für die Entscheidung, die sie treffen müssen, ohne je dafür ausgebildet worden zu sein. Das Leben eines Menschen hängt von ihnen ab, und das ist ihnen bewusst. Sie werden Mühe haben, sich zu konzentrieren. Dass einer sich alles merkt, ist ohnehin so gut wie unmöglich. Und wenn Winchester und ich ihnen auch noch gestatten, von dem, was wir sagen, abzuschweifen, werden sie die Hälfte vergessen. Glaub mir, Winchester ist kein Dummkopf. Er wird nichts wiederholen, was irrelevant ist.«
»Was meinst du mit irrelevant?«, fragte Margaret. »Wie kann die Wahrheit irrelevant sein? Es geht um das Leben eines Menschen … Sind sie denn dumm?« Margarets Stimme wurde schrill. Seit der Verhaftung ihres Vaters hatte es sie enorme Kraft gekostet, ihre Selbstbeherrschung zu wahren; und jetzt entschlüpfte das eine oder andere Gefühl dem engen Korsett.
Rathbone beugte sich vor. »Die Beschreibung des Flussabschnitts, wo Parfitt gefunden wurde, ist nicht relevant genug, um sie sowohl vom örtlichen Polizisten als auch von Monk zu hören. Sie hat nichts damit zu tun, wer Parfitt war oder wer ihn umgebracht hat. Das brauchen die Geschworenen nicht in doppelter Ausführung zu hören. Was zählt, ist ihre Aufmerksamkeit.«
»Was wird Monk sagen?«, beharrte Margaret. »Er wird alles schwarzmalen, weil er Vater hasst. Er hat ihm nie verziehen, dass er dich für die Verteidigung von Jericho Phillips ausgewählt hat. Männer wie Monk können Niederlagen einfach nicht ertragen. Wie wirst du den Geschworenen zeigen, dass es eine persönliche Angelegenheit ist und er seine eigenen Gründe hatte, sich zu wünschen, dass Vater der Schuldige ist?«
Rathbone sah den Zorn und die Angst in Margarets Gesicht. Ihn beschlich der Eindruck, sie stehe vor einer Tortur, von der sie sich vielleicht nie erholen würde. Wie gerne hätte er sie einfach in die Arme genommen und gehalten, um jene Nähe zu spüren, in der jedes Leid geteilt werden kann. Doch Margaret hatte
Weitere Kostenlose Bücher