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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nichts anderes erwartet, denn die Aussicht auf einen mit widerwärtigen Details gespickten Prozess gegen einen hochangesehenen Anwalt wegen der Ermordung eines halbseidenen Zuhälters am Fluss hatte die meisten Journalisten dazu verleitet, bis an die Grenzen des im Presserecht Zulässigen und darüber hinaus zu spekulieren. Obwohl er sich also längst auf die besonderen Schwierigkeiten eingestellt hatte, graute Rathbone vor dem unvermeidlichen Schmerz in Margarets Gesicht. Er hatte schon erwogen, sie zu bitten, der Verhandlung fernzubleiben, doch ihm war klar gewesen, dass sie das als Aufforderung zu feigem Verhalten und – schlimmer noch – zum Verrat betrachten würde.
    Und dann rief Winchester, wie Ratbone erwartet hatte, als ersten Zeugen Monk auf.
    Monk erklomm die Wendeltreppe zum Zeugenstand hoch über dem Publikum im Saal und bezog dort so elegant wie immer Stellung. Er wirkte sehr selbstsicher. Nur Rathbone, der ihn gut kannte, sah ihm die Anspannung an, eine bei ihm sonst nie bemerkte Starre, während er darauf wartete, dass Winchester begann.
    Winchesters erste Fragen waren harmlos. Geklärt werden sollten Monks Identität, damit die Geschworenen wussten, wen sie vor sich hatten und welchen Rang er genau bekleidete, dann Zeit und Ort des Leichenfundes und schließlich die Frage, wer Monk mit welcher Begründung zum Fundort gerufen hatte.
    »Sie standen im Frühmorgennebel am Flussufer …«, setzte Winchester an.
    »Im Wasser, genauer gesagt«, korrigierte ihn Monk.
    »Seicht?«
    »Bis über die Knie und schlammig.« Bei der Erinnerung überlief Monk ein leichter Schauder.
    »Und zweifellos kalt«, ergänzte Winchester.
    »Ja.«
    »Und der Grund, warum die örtliche Polizei Sie dazuholte?«
    »Die Leiche eines Mannes, die vollständig bekleidet im Wasser trieb. Sie hatten ihn umgedreht, weil er ja identifiziert werden musste. Das erwies sich trotz einer gewissen Verunstaltung durch das Wasser als ziemlich einfach, denn er hatte einen verkümmerten Arm.«
    »Verkümmert?«
    »Der rechte Arm war kürzer als der linke, und der Muskel war geschrumpft. Es sah aus, als wäre er so gut wie unbrauchbar gewesen.«
    »Wer war der Tote?«
    »Ein Einheimischer namens Mickey Parfitt.«
    »Sah es nach Tod durch Ertrinken aus?« Winchesters Ton war mild und ließ nur beiläufige Neugier erkennen. »Schickt man bei jedem Ertrunkenen nach Ihnen?«
    »Nein«, antwortete Monk. »Sein Hinterkopf wies rechts vom Scheitel eine Verletzung auf. Aber der eigentliche Grund, warum sie uns aus Wapping geholt hatten, war das straffe Band, das unter dem geschwollenen Fleisch seiner Kehle verborgen war.«
    »Band? So etwas wie ein langes, dünnes Gewebe, das fest zugezogen worden war, um ihn zu strangulieren?«
    »Ja.«
    »Bemerkten Sie, womit genau das getan worden war?«
    »Nicht in diesem Moment.«
    »Später?«
    »Als der Polizeichirurg es herausschnitt und mir brachte.«
    Winchester hob die Hand, wie um Monk Schweigen zu gebieten. »Darauf kommen wir später zu sprechen. Nach Ihrer Ankunft, Mr Monk, als Sie im Licht des frühen Morgens im Wasser standen, glaubten Sie da, dass Mr Parfitt eines natürlichen Todes gestorben war?«
    »Das hielt ich für extrem unwahrscheinlich.«
    »Ein Unfall?«
    »Ich konnte mir keinen vorstellen, der solche Spuren hinterließ.«
    »Demnach war es für Sie Mord?«
    »Das nahm ich an, ja.«
    »Was unternahmen Sie als Nächstes, Mr Monk?«
    Monk beschrieb, wie er und die anderen Polizisten die schwere, tropfnasse und schlammbedeckte Leiche aus dem Wasser gezogen, zu dem Karren geschleppt und schließlich nach Chiswick zurückgebracht hatten, um sie in der Leichenhalle kühl aufzubewahren, damit der Polizeiarzt eine Autopsie durchführen konnte.
    »Und dann, Mr Monk?« Winchester wirkte ungezwungen, entspannt. Rathbone kannte ihn vom Hörensagen, hatte ihm aber bisher nie in einem Gerichtssaal gegenübergestanden, sodass er seine Stimmungslage nicht richtig einschätzen konnte. Winchester wirkte umgänglich, fast beiläufig, als nähme er an, dieser Fall erfordere nicht mehr als seine halbe Aufmerksamkeit – ein Eindruck, der täuschen konnte.
    »Ich begann, Befragungen über Mr Parfitt durchzuführen, seinen Charakter, seinen Broterwerb und mögliche Gründe, warum irgendjemand den Wunsch gehabt haben mochte, ihn zu töten.«
    »Routine?«, fragte Winchester eilig.
    »Ja.«
    »Gut, wenn Sir Oliver nicht ins Detail gehen möchte …« Winchester wirbelte herum und warf Rathbone kurz einen

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