Einer trage des anderen Schuld
kennt, käme auf die Idee, er würde … mal ein bisschen über den Fluss rudern und irgendeinen dahergelaufenen … Pornografen ermorden … oder?«
Er berührte ihre Hand, und sie ergriff seinen Arm. Ja, sie klammerte sich mit solcher Kraft an ihn, dass es ihm wehtat. Doch er zog die Hand nicht zurück und gab sich sogar alle Mühe, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen.
»Eben weil sie ihn nicht kennen«, erwiderte er. »Meine Aufgabe besteht darin, den Geschworenen zu zeigen, dass dein Vater genau das ist, wonach er aussieht und wofür er in seinen Äußerungen steht: ein ehrbarer Ehemann und Vater, ein guter Anwalt, der aufgrund seiner beruflichen Pflichten die verschiedensten Mandanten vertreten hat, gute und böse, so wie auch ich. Er hat sein Bestes getan, um ihnen allen zu helfen, ohne dabei persönliche Wertungen hinsichtlich ihrer Ehrenhaftigkeit vorzunehmen – ganz wie es das Gesetz erfordert und die Gerechtigkeit verlangt.«
Margaret versuchte, die Tränen wegzublinzeln, die ihr in die Augen schossen, doch schon rannen sie ihr über die Wangen. »Du hast ja recht, Oliver, und dafür liebe ich dich. Es tut mir leid. Ich habe nur so große Angst, dass alles irgendwie misslingt. Mir fehlt der Glaube an Gerechtigkeit. Wenn es sie wirklich gäbe, stünde Papa jetzt nicht dieser Prozess bevor. Und so leid es mir tut, aber Monk ist meiner Meinung nach skrupellos. Auch Hester vertraue ich nicht mehr. Wie ich das sehe, ist sie bereit, alles für ihn zu tun, sogar zu lügen, wenn es sein muss, nur damit er nicht – schon wieder – blamiert wird. Einen weiteren schrecklichen Fehler kann er sich nicht leisten, sonst verliert er seine Stellung. Was bleibt ihr da anderes übrig?«
»Traust du ihr das wirklich zu?«, fragte Rathbone.
»Mein Gott, Oliver! Sie liebt ihn!«, rief Margaret entnervt. »Sie hält treu zu ihm! Sie ist seine Frau!«
»Nennst du das Treue?«, fragte er leise.
Damit nahm er ihr den Wind aus den Segeln. »Was meinst du damit?«, fragte sie verunsichert. »Natürlich ist das Treue.«
»Ich glaube nicht, dass es etwas mit Treue zu tun hat, wenn man einer Person bei einer Sache hilft, die falsch ist und zum Tod eines Dritten führen wird. Man würde dieser Person bei einer Sünde zur Seite stehen, die sie später bereuen würde und für die sie bis an ihr Lebensende einen hohen Preis zahlen müsste. Würdest du das wirklich wollen? Ich nicht.«
Die Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Wenn du diese Person liebtest«, fügte er hinzu.
»Ich … ich weiß nicht. Ich würde sie verteidigen wollen. Du nicht auch?« Sie runzelte die Stirn. »Wenn ich diese Person genügend liebte, würde ich vielleicht gar nicht daran denken, dass sie im Unrecht sein könnte. Zumindest nicht derart eklatant.«
»Und würdest du dein eigenes Urteil opfern?«
»Ich weiß nicht. Aber so weit wird es ja nicht kommen.« Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Ich bin ja nicht mit William Monk verheiratet, sondern mit dir. Ich kann mir nicht wegen Hesters Problemen den Kopf zerbrechen. Das ist ihre Sache.«
Eine Erinnerung schoss Rathbone in den Sinn, so lebhaft, dass Hester jetzt genauso gut in Fleisch und Blut vor ihm hätte stehen können; ihr Gesicht wirkte so intensiv, wie er es kannte, nur erlebte er es jetzt auch als zornig, veletzlich und bekümmert wegen der Probleme einer fremden Person, die sie nicht ruhen ließen, bis sie eine Lösung gefunden hatte. Diese Eigenschaft hatte ihn damals beängstigt und erregt. Und er hatte sie gerade deswegen umso heftiger geliebt.
Er schlug die Augen vor Margarets forschendem Blick nieder. In diesem Moment wollte er gar nicht wissen, was sie fühlte. Und er wollte nicht, dass sie ihm seine Emotionen ansah.
Er ließ ihre Hände los und stand auf. »Ich gehe in mein Büro. Ich muss sämtliche Unterlagen ein letztes Mal durchlesen. Versuch zu schlafen. Wir sehen uns am Morgen.« Das war gelogen. Weder musste er seine Unterlagen noch einmal durchsehen, noch hatte er das vor. Es ging ihm lediglich darum, in einem Raum allein zu sein, wo er auch ruhen konnte, wenn er wollte. Trotz all seiner Bemühungen, Margaret zu beschwichtigen, war er weitaus nervöser, als er ihr das zeigen wollte.
Der Gerichtssaal war gedrängt voll, und Besucher mussten abgewiesen werden, noch bevor der Prozess überhaupt begonnen hatte. Als dann der erste Zeuge aufgerufen wurde, schien die Atmosphäre vor Spannung zu knistern. Rathbone überraschte das nicht. Er hatte
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