Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
fragenden Blick zu, was freilich nichts als eine rhetorische Geste war. Dann wandte er sich wieder Monk zu. »Ich wäre froh, wenn ich die Herren Geschworenen nicht mit jedem einzelnen Schritt der Prozedur langweilen müsste. Also, was haben Sie entdeckt? Welcher Natur war zum Beispiel Mr Parfitts Broterwerb, soweit Sie das feststellen konnten? Und achten Sie bitte darauf, sich präzise an die Fakten zu halten.«
    Auf Monks Gesicht erschien ein ernstes Lächeln. Er wusste, dass Winchester bei aller äußerlichen Lässigkeit nicht minder akribisch vorging als Rathbone und sich genauso intensiv auf jedes Wort, jede Nuance konzentrierte.
    »Die örtlichen Polizisten berichteten mir, dass Mr Parfitt ein Boot besaß, das er an mehreren verschiedenen Stellen eingesetzt hatte, das aber zur Tatzeit vor Corney Reach, etwa auf halbem Weg zwischen Chiswick und Mortlake, vertäut war. Das stellte sich als zutreffend heraus, und kurz darauf ging ich in Begleitung von Sergeant Orme an Bord.«
    »Der örtliche Beamte?«
    »Nein, mein eigener Sergeant in der Wache von Wapping.«
    »Warum er, Mr Monk? Wäre es nicht hilfreicher gewesen, den ortsansässigen Polizisten mitzunehmen? So einer wäre schließlich mit der Gegend, den Gezeiten vertraut und hätte möglicherweise auch Mr Parfitt persönlich gekannt.«
    »Er verhörte noch Mr Parfitts Helfer und hatte auch dabei den großen Vorteil, mit den örtlichen Verhältnissen vertraut zu sein.«
    »Ich verstehe. Wir werden später von ihm hören. Mylord, ich werde zu gegebener Zeit Mr Jones, Mr Wilkin und Mr Crumble aufrufen. Meiner Ansicht nach wäre es allerdings für das Gericht einfacher, Mr Monks Aussage in einem Stück zu hören, selbst wenn das die Chronologie etwas durcheinanderbringt. Wäre Eure Lordschaft damit einverstanden?«
    Der Richter antwortete mit einem Nicken und einer kleinen, ungeduldigen Handbewegung.
    Winchester neigte leicht den Kopf, um seine Dankbarkeit auszudrücken.
    Er setzte das Verhör fort. »Haben Sie das Boot gefunden, Mr Monk?«
    Rathbone merkte, dass er völlig verkrampft dasaß. Mit großer Willensanstrengung zwang er sich, seine Muskeln zu lockern. Von seiner Warte aus konnte er nicht zur Anklagebank links von ihm hinaufsehen, wo fünf Meter über ihm reglos Arthur Ballinger thronte und auf das Geschehen hinabblickte. Wenn er den Kopf zu seinem Mandanten drehte, lenkte er nur die Aufmerksamkeit der Geschworenen auf sich, was er später vielleicht bereuen würde. Selbst ein flüchtiger Blick, der vielleicht nach Arroganz oder Gleichgültigkeit aussah, konnte als Eingeständnis von Schuld interpretiert werden. Da war es besser, sie beobachteten Monk.
    »Ja«, antwortete Monk, »wir gelangten ohne nennenswerte Schwierigkeiten an Bord. Man musste nur längsseits heranfahren, das eigene Boot vertäuen und an den Seilen hochklettern. Da die Hauptluke verriegelt war, brachen wir sie auf und stiegen die Stufen …«
    »Meinen Sie die Leiter?«, fiel ihm Winchester ins Wort. »Können Sie sie uns bitte beschreiben?«
    Rathbone hasste diesen Teil des Prozesses, doch er durfte sich das nicht anmerken lassen. Die Geschworenen würden auch ihn beobachten. Die Art und Weise, wie Winchester seine Fragen formulierte, und Monks entsetzte Miene würden ihnen verraten, dass das Verhör eine entscheidende Phase erreicht hatte.
    Monk stand steif da, das Geländer vor sich umklammernd, als bräuchte er eine Stütze. Sein Gesicht war blass, die Augen hart und die Lippen leicht geschürzt – ein Mann, der unter einem kaum beherrschbaren Schmerz litt.
    »Das Boot war gut fünfzehn Meter lang, soweit ich das beurteilen konnte«, begann er leise. »Ich habe es nicht nachgemessen. Einschließlich des offenen oberen Decks schien es drei Decks zu haben. Mein Eindruck stellte sich später als richtig heraus. Es hatte einen Mast und ein Steuerhaus. Wir stiegen durch die erste Luke, die breit war und einen bequemen Abstieg ermöglichte. Nach unten kam man nicht über eine Leiter, sondern über eine massive, leicht begehbare Treppe. Sie führte in einen großen Raum, der wie die Bar eines Clubs für Gentlemen ausgestattet war. In den Schränken entdeckten wir Alkohol und mehrere Dutzend Gläser.«
    Rathbone bemerkte, dass die Geschworenen ihn unsicher anstarrten. Ihnen schien es ein Rätsel zu sein, warum diese absolut normal klingende Schilderung von irgendeiner Bedeutung sein sollte, geschweige denn ein Entsetzen auslösen konnte, wie es sich so deutlich in Monks Miene, Stimme

Weitere Kostenlose Bücher