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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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und sogar Körperhaltung erkennen ließ.
    Doch Rathbone schnürte sich der Magen zu. Er wusste genau, was Monk vorhatte.
    »Bitte fahren Sie fort«, ermunterte ihn Winchester mit ernster Stimme. Ohne es darauf anzulegen, war der Staatsanwalt aufgrund seiner Größe, seiner breiten Schultern und seines ungewöhnlich prächtigen Haars ein eleganter Mann.
    »Die andere Hälfte des Decks bestand aus einem zweiten, etwas größerem Raum«, berichtete Monk. »Aber er war eher wie ein Theater hergerichtet, mit Lampen und einer Bühne am hinteren Ende, eigentlich nur eine leere Plattform.«
    »Vorhang?«, fragte Winchester. »Ein Podest für Musiker?«
    Monk schnitt eine Grimasse. »Kein Vorhang, keine Musik.«
    Winchester nickte.
    Der Richter verlor allmählich die Geduld. »Mr Winchester, führt das noch irgendwohin?«
    »Ja, Mylord, leider. Mr Monk?«
    »Wir stiegen zu dem darunterliegenden Deck hinab.« Monks Stimme wurde leiser, und er sprach jetzt hastiger, als wollte er diese Sache schnell hinter sich bringen. »Dort gab es mehrere kleine Kabinen oder eher Zellen, gerade groß genug für ein Bett. Im hintersten Zimmer stießen wir auf eine verriegelte Tür, die wir mit Gewalt aufstemmten. In der Kammer dahinter befanden sich vier kleine Jungen im Alter von vier bis sieben Jahren …«
    Einer der Geschworenen stieß seinen Atem mit einem Seufzen aus.
    »Sie waren aneinandergekauert, ihre Gesichter kalkweiß.« Monk brach die Stimme. »Und verängstigt. Wir mussten sie mühsam davon überzeugen, dass wir ihnen nichts Böses wollten. Sie waren durchfroren, ausgehungert und halb nackt.«
    Winchester warf einen Blick zum Richter hinüber, dann blickte er stirnrunzelnd auf Monk, als wollte er ihn fragen, ob er da nicht übertrieb. Nachdem sie einander sekundenlang angestarrt hatten, rieb er sich mit der Hand über das Gesicht und schüttelte den Kopf.
    »Ich verstehe. Was haben Sie dann getan, Mr Monk?«
    »Ich habe, soweit mir das möglich war, dafür gesorgt, dass die Kinder evakuiert wurden, Essen und Kleider bekamen und für die Nacht an einen sicheren Ort gebracht wurden. Insgesamt waren es vierzehn. Wir setzten uns mit einem Waisenhaus für Findelkinder in Verbindung, wo man bereit war, sie aufzunehmen, bis sie identifiziert und – falls sie Eltern hatten – nach Hause gebracht werden konnten.«
    »Woher kamen sie eigentlich?«, fragte Winchester, angestrengt darum bemüht, seine Bestürzung zu verbergen.
    Wenn in diesem Moment eine Nadel zu Boden gefallen wäre, hätte man dies im ganzen Gerichtssaal hören können.
    »Von überall am Fluss«, sagte Monk. »Waisen, ungewollte Kinder, teilweise auch Kinder, deren leibliche Eltern sie nicht ernähren konnten.«
    Winchester erschauerte. »Wann waren sie an Bord dieses Bootes gekommen? Was taten sie dort?«
    »Sie waren zu verschiedenen Zeiten aufgelesen worden. Sie wurden dazu benutzt, zur Unterhaltung von Mr Parfitts Kunden an verschiedenen sexuellen Akten mit älteren Jungen oder Männern teilzunehmen. Diese Akte waren …«
    Rathbone erhob sich.
    Der Richter blickte ihn an. »Ja, Sir Oliver. Ich habe mich schon gefragt, wann Sie Einspruch erheben würden. Mr Winchester, woher weiß Mr Monk all das? Es offenbarte sich doch sicher nicht von selbst dem bloßen Auge, als er in das untere Deck dieses Bootes einbrach? Abgesehen davon haben Sie bisher noch keinen Beweis dafür vorgelegt, dass es sich tatsächlich um Mr Parfitts Boot handelte. Es hätte ebenso gut irgendjemandem gehören können.«
    »Mylord, ich hatte die Absicht zu fragen, ob es an dieser entsetzlichen Geschichte irgendetwas gibt, das mit Mr Ballinger zu tun hat«, erklärte Rathbone.
    »Mr Winchester?« Der Richter zog die Augenbrauen hoch.
    Winchester lächelte. »Mylord, ich gebe zu, dass ich versuche, den Mitgliedern des Geschworenengremiums darzulegen, von was für einem überaus widerwärtigen Charakter das Opfer war, bevor mir Sir Oliver diese Mühe abnimmt, was er, wie ich fürchte, ohnehin tun wird. Wir alle sollten uns des Umstandes bewusst sein, dass Mr Parfitt nach aller Wahrscheinlichkeit eine große Zahl von Feinden und sehr wenige Freunde hatte.«
    Aus der Publikumsgalerie waren erleichtertes Seufzen und vereinzeltes Kichern zu hören. Selbst die Geschworenen schienen sich wieder etwas zu entspannen.
    Rathbone blieb nichts anderes übrig, als das Argument zu akzeptieren.
    Der Richter blickte zu Monk auf. »Sie wollen diese Aktivitäten doch hoffentlich nicht beschreiben, Commander

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