Einer trage des anderen Schuld
starrten den Richter an, rutschten auf ihrem Sitz herum, atmeten heftig.
»Sir Oliver!«, sagte der Richter scharf, als hätte er Rathbone schon vorher aufgerufen und wäre nicht gehört worden.
Rathbone erhob sich. »Ja, Mylord?«
»Sind Sie damit einverstanden, dass die Geschworenen keine Einsicht in dieses … Material zu nehmen brauchen?«
Rathbone wusste, dass er auf der Stelle antworten musste. Und er musste richtig reagieren. Hatten die Andeutung und die emotionale Spannung im Raum die Bilder noch schlimmer gemacht, als sie es tatsächlich waren? Vielleicht enttäuschte die Wirklichkeit die hohen Erwartungen.
»Wenn ich sie betrachten dürfte, Mylord? Und ich darf doch annehmen, dass Mr Winchester uns zeigen wird, was ihm die Gewissheit verschafft, dass diese Aufnahmen ohne jeden Zweifel auf dem Boot gemacht wurden, das dem Opfer gehörte.«
»Selbstverständlich.«
Die Züge des Richters spannten sich an, doch dann winkte er den Gerichtsdiener zu sich und drückte ihm das Päckchen in die Hand, damit er es Rathbone überreichte.
Der Anwalt nahm es entgegen und betrachtete die ersten zwei Aufnahmen. Sie waren grotesk und noch obszöner, als er erwartet hatte. Doch das Schlimmste von allem war ein Umstand, den er nie für möglich gehalten hätte: Den Mann auf dem zweiten Bild erkannte er, und das versetzte ihm einen derartigen Schock, dass ihm am ganzen Körper der Schweiß ausbrach und dann eisig kalt auf der Haut klebte. Sollten die Geschworenen das sehen? Würde es dann vernünftige Zweifel an Ballingers Schuld aufwerfen, weil ein Mann, der einem Kind so etwas zu seinem eigenen Vergnügen antun konnte, doch sicher vor nichts zurückschrecken würde, auch nicht vor einem Mord?
Doch der Mann auf diesem Bild war eine Gestalt des öffentlichen Lebens. Wie würden die Geschworenen am Ende darauf reagieren, dass ihre Illusionen so brutal zerstört und für immer besudelt wurden? Er konnte es nicht abschätzen.
Die Stimme des Richters riss ihn aus seinen fieberhaften Gedanken. »Sir Oliver?«
»Ich glaube …« Er musste innehalten und sich räuspern. »Mylord, ich glaube, dass wegen der hier abgebildeten Männer und des unvermeidlichen Ruins, der über sie und ihre Familien hereinbrechen würde, ein von diesem Prozess unabhängiger zweiter Fall entstünde, einer, den ich nicht verfolgen möchte – zumindest nicht hier. Darum bitte ich Eure Lordschaft, die Geschworenen darüber in Kenntnis zu setzen, dass diese Abbildungen, so abscheulich sie auch sind, in keinster Weise Mr Ballinger betreffen.«
Der Richter nickte bedächtig, dann wandte er sich an die Geschworenen. »So verhält es sich in der Tat, Gentlemen. Und Sir Oliver wird es Ihnen ohne Zweifel noch einmal bestätigen, wenn er Mr Monk verhört. Bitte fahren Sie fort, Mr Winchester. Ich denke, Sie haben vor den Geschworenen mehr als hinreichend begründet, dass Mr Parfitt ein Gewerbe ausübte, das an Niedertracht die Vorstellungskraft jedes geistig gesunden Menschen übersteigt. Andererseits wird es manchen so erscheinen, als würde dieser Umstand eher der Verteidigung als der Anklage dienen.«
»Vielleicht habe ich meinen Interessen tatsächlich nicht so gedient, wie ich gehofft hatte«, meinte Winchester mit einem bedauernden Lächeln und zuckte dann dezent mit den Schultern. »Doch ich habe die Pflicht, den Fakten dorthin zu folgen, wohin sie mich führen.« Er blickte nach oben zu Monk. »Wo haben Sie diese Fotografien gefunden, Mr Monk? Genauer gesagt, woher wissen Sie, dass sie irgendetwas mit Mr Parfitt zu tun haben? Ist er auf einer davon abgebildet?«
»Nein. Es ist möglich, dass er hinter der Kamera stand. Wir haben dieses Päckchen auf dem Boot gefunden, wenn auch nicht sofort. Es war sehr sorgfältig in einem Gerät versteckt, das aussah, als wäre es Teil der nautischen Ausrüstung.«
»Ist anzunehmen, dass diese Männer wussten, dass sie fotografiert wurden?«, fragte Winchester.
Monk schüttelte den Kopf. »Nein, es sei denn, man hatte es ihnen gesagt.«
»Ich verstehe. Und zeigen diese Fotografien auch das Innere des Bootes, das Sie durchsucht haben?«
»Ja.«
»Nach Ihrem besten Wissen, Mr Monk: Betrieb Mr Parfitt dieses abscheuliche Gewerbe allein?«
»Nein«, antwortete Monk gepresst. »Von den Männern, die wir verhören konnten, hatte er mindestens drei an der Hand, die für ihn arbeiteten. Aber natürlich können es noch viel mehr gewesen sein, die wir nur nicht enttarnen konnten.«
»Wirklich? Was veranlasst
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