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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Zuschauer abscheulicher, widerwärtiger Szenen geschildert haben, kann er nicht der Mann im Hintergrund gewesen sein. Man erpresst sich nicht selbst.«
    Der Richter überlegte kurz, dann zog er eine Schulter zu einer Geste der Anerkennung hoch. »Mr Winchester scheint recht zu haben. Man kann in Mr Cardew nicht beides sehen. Entweder war er der Erpresser oder das Opfer, das zurückschlug.«
    »Mylord.« Rathbone verneigte sich. »Für mich besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass Mr Parfitt ein niederträchtiger Mann war, der anderen einen Königsweg zur totalen Entwürdigung bot, zu einer Verderbtheit, die jeden anständigen Menschen anwidern muss. Dafür ließ er seine Opfer gleich doppelt zahlen: erst für die Teilnahme und später dafür, dass sie der Schande durch ihre Bloßstellung vor ihren Freunden und vor der Gesellschaft entgingen. Aber wie es möglich war, Persönlichkeiten mit einer solchen Schwäche zu finden, wissen wir nicht. Viele Antworten sind vorstellbar. Wenn tatsächlich ein Drahtzieher dahintersteckte, wissen wir nicht, wer das ist. Ich persönlich würde ihn – wie wohl auch Sie – gerne hängen sehen. Aber mich würde es nicht befriedigen, wenn wir in unserem gerechtfertigten Abscheu und Zorn den Falschen aufknüpften!«
    Dafür erntete er zustimmendes Lächeln. Jemand rief seine Zustimmung sogar laut heraus.
    Der Richter blickte mit gerunzelter Stirn in den Saal, verzichtete aber auf einen Tadel.
    Rathbone wartete einen Moment, bis wieder Ruhe eingekehrt war, dann setzte er seine Ansprache fort. »Wir sind hier, um über Arthur Ballinger zu verhandeln, der des Mordes an Mickey Parfitt angeklagt ist. Ich gebe Ihnen zu bedenken, dass Mr Winchester trotz seiner Eleganz und meisterhaften Demaskierung der zutiefst widerwärtigen Natur von Mickey Parfitts Gewerbe nicht vermocht hat darzulegen, dass Mr Ballinger irgendetwas damit zu tun hatte, sei es als Investor oder als Opfer.«
    Nun sah er die Geschworenen an.
    »Ich beabsichtige, Ihnen in den nächsten ein, zwei Tagen die gewalttätige und tückische Natur anderer an den Rändern dieses Gewerbes beteiligter Elemente aufzuzeigen und nachzuweisen, wie leicht es jedem von ihnen gefallen wäre, Parfitt eigenhändig zu töten. Ich werde Ihnen Dutzende von Gründen darstellen, die sie dafür gehabt haben könnten und die größtenteils mit Gier zu tun haben. Wie bereits ausführlich gezeigt wurde, kann man durch Erpressung sehr viel Geld verdienen oder verlieren. Das Ansehen von Männern wird zerstört, ganze Vermögen werden vernichtet, Menschenleben wird ein Ende gesetzt. Solche Umstände sind Brutstätten des Mordes.«
    Hester ersparte es sich, zu bleiben und ihn reden zu hören. Rathbone würde sorgfältig alle möglichen Andeutungen ausbreiten, die den Sachverhalt noch nebulöser erscheinen lassen würden. Wahrscheinlich würde er gar nicht versuchen, Rupert Cardew herauszupicken und seine Schuld zu beweisen, aber es wäre vielleicht gar nicht so schwierig, den Verdacht anzudeuten, dass er immerhin der Täter sein konnte, sodass am Ende niemand mehr Arthur Ballinger schuldig sprechen würde. Dann würde alles wieder von vorn beginnen, nur um womöglich zu noch mehr Zweifeln zu führen.
    Sie trat hinaus in den Spätnachmittag, den Lärm der Straße, den Verkehr, fast in eine andere Welt. Sie gab sich alle Mühe, den Gedanken daran zu vermeiden, was es für Monk bedeuten würde, wenn der Prozess mit einem Freispruch endete. Margaret würde ihm trotzdem nicht vergeben. Und was würden die Männer von der Wasserpolizei sagen? Dass er den Falschen angeklagt hatte oder dass er recht gehabt hatte, aber daran gescheitert war, die nötigen Beweise vorzulegen? Ob so oder so, er hätte verloren.
    Sie zwang sich, nicht zu vergessen, dass es darauf ankam, recht zu haben, und nicht darauf, den Anschein von Recht zu erwecken. Sie brauchte mehr Fakten. Und deshalb musste sie wissen, was genau mit Hattie geschehen war. Wenn Margaret sie zum Ausgang gebracht und ihr nahegelegt hatte, die Klinik zu verlassen, warum hatte Hattie dann gehorcht? Wohin war sie gegangen? Zu wem? Wer hatte gewusst, wo er sie finden würde, und sie dann umgebracht, um ihre Aussage vor Gericht zu verhindern? Was hätte sie dort beschworen? Dass Rupert unschuldig war? Oder dass er der Mörder war?
    Nun würden sie nie erfahren, wem Hattie das Halstuch gegeben hatte, wenn sie es denn überhaupt jemals gestohlen hatte. War Rupert am Ende doch der Täter? Warum schmerzte sie dieser

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