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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eine Bestätigung bekäme, ja, dass die Angaben völlig hieb- und stichfest wären, als hätte Tosh gewusst, dass sie einer Untersuchung standhalten müssten. Jetzt schien hinter seinem Zorn leise Zufriedenheit zu schimmern.
    »Was meinen Sie?«, fragte Monk Orme, als sie wieder in dem Hansom saßen, der sie zurück nach Wapping brachte. Der Abend dämmerte, und für heute hatten sie ihr Möglichstes getan. Monk war müde; nicht vom Laufen – das war er gewohnt –, sondern im Kopf. Er fühlte sich, als wäre Jericho Phillips zurückgekehrt, und als erlebte er aufs Neue den alten Schmerz und das alte Scheitern.
    Wünschte er sich nicht insgeheim, Parfitts Mörder möge entkommen, weil er selbst jeden dieser Männer am liebsten eigenhändig umgebracht hätte?
    Wie konnte er im Namen des Gesetzes einen Mann der Justiz zur Bestrafung übergeben, der genau das getan hatte, was sein eigener Wunsch gewesen war? War nicht schon sein Versuch, diesen Mann zu stellen, verlogen?
    Mickey Parfitt hatte ein Boot unterhalten, um darauf Pornografie mit lebenden Menschen, mit Kindern zu betreiben und Szenen für Fotografien zu arrangieren, die sich dann flussauf und flussab in bestimmten Läden am Ufer verkaufen ließen. Freilich hatte Monk nicht den geringsten Zweifel daran, dass Parfitts wahrer Profit wie auch bei Phillips in der Erpressung der Kunden lag.
    Zugrunde lag dem Fall die zentrale Frage: War Parfitt, wie auch Phillips, bereit, diejenigen Jungen zu ermorden, die zu einem Problem wurden, sobald sie zu weit entwickelt waren, um den Geschmack der Päderasten zu befriedigen? Konnte es am Ende sein, dass einer dieser Jungen, inzwischen zum kräftigen Mann herangewachsen, zurückgekehrt war und Parfitt aus Rache getötet hatte?
    Falls es sich so verhielt, hatte Monk erst recht keinen Wunsch, ihn zu stellen. Sollte er also absichtlich einen Fehler begehen, selbst wenn das auf Kosten seines so leidenschaftlich gepflegten Rufs ging?
    Er musterte den neben ihm sitzenden Orme und versuchte, im immer wieder aufblitzenden Laternenlicht der entgegenkommenden Hansoms seinen Gesichtsausdruck zu lesen. Doch dieser verriet ihm nichts außer der Tatsache, dass Orme ebenfalls beunruhigt war, und das wusste er ja längst.
    »Von wem stammte überhaupt das Geld für das Boot?«, fragte Monk.
    Orme schürzte die Lippen. »Und könnte der Investor ein Motiv für den Mord an Parfitt gehabt haben? Glauben Sie, dass der Kerl zu frech wurde? Stahl er womöglich die Gewinne?«
    »Vielleicht«, mutmaßte Monk. »Was hatte Crumble zu sagen?«
    Orme zuckte die Schultern. »Nur das, was man von ihm erwarten würde. Nach allem, was ich gehört hab, herrschte auf dem Boot ein reges Kommen und Gehen. Immer nur Männer. In der Regel gut angezogen, aber still und leise. Stets nach Einbruch der Dunkelheit und darauf bedacht, den Eindruck zu erwecken, als würden sie eine Fähre oder etwas Ähnliches nehmen.« Ormes Lippen waren zusammengekniffen, ein dünner Strich im Lampenlicht. »Das ist Phillips, wie er leibte und lebte, und alles geht wieder von vorn los. Nur dass uns diesmal ein anderer zuvorgekommen ist und ihn sich geschnappt hat.«
    »Einer seiner Kunden? Ein Erpressungsopfer? Einer seiner Jungen?« Monk versuchte, den hässlichsten Gedanken, der ihm durch den Kopf schwirrte, in Worte zu fassen, denjenigen, den er eigentlich überhaupt nicht in Betracht ziehen wollte. Doch Orme war zu ehrlich, als dass Monk jetzt etwas Belangloses hätte antworten und ihm damit bewusst ausweichen können. Sein Bemühen um Offenheit kostete Monk allerdings beträchtliche Anstrengung. Noch nie hatte er mit jemandem zusammengearbeitet, dem er wirklich vertraute. Er hatte befohlen, aber nicht geführt. Erst seit Kurzem begann er, den Unterschied zu begreifen.
    »Musste ihn sein Geldgeber zum Schweigen bringen?«, schlug Monk vor. »Oder hatte unser Erpresser den Bogen überspannt – ein bissiger Hund, der selbst gebissen wurde?«
    Er dachte an Phillips’ Tod, an den klaffend weit wie zu einem endlosen Schrei aufgerissenen Mund. Hatte Sullivan, der neben ihm an einen Pfosten gefesselt gestorben war, am Ende die Wahrheit gesagt, und Arthur Ballinger war wirklich der große Unbekannte? Wenn es sich so verhielt, konnte Monk sich nicht von der Beweisführung abwenden, nur weil damit eventuell Margaret, Oliver Rathbone oder sonst wem Schmerz zugefügt wurde.
    »Könnte sein«, antwortete Orme ruhig. »Nur weiß ich nicht, wie wir das je rausfinden können, geschweige denn

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