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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht. Wenn Sie mehr über das erfahren, was Parfitt getan und wie er seine Macht eingesetzt hat, werden Sie es sich vielleicht noch anders überlegen.« Damit schob Rathbone den Stuhl auf dem Steinboden zurück und erhob sich.
    »Werden Sie mich vertreten?«, fragte Rupert und stand nun ebenfalls auf. Seine Knöchel waren weiß, so fest ballte er die Hände zusammen, und es kostete ihn gewaltige Anstrengung, nicht am ganzen Körper zu zittern.
    »Ja«, antwortete Rathbone, ohne zu zögern, und war selbst überrascht, wie klar seine Entscheidung war und dass ihm eine andere gar nicht erst in den Sinn gekommen war.
    All das Margaret zu erklären war jedoch gar nicht so leicht, als sie am Abend bei gedämpftem Gaslicht in der Stille ihres Esszimmers beisammensaßen, wo die im Kamin glühenden Apfelbaumscheite ein dezentes Aroma verbreiteten.
    »Rupert Cardew?«, fragte sie verblüfft. »Wie schrecklich für seinen Vater! Der arme Mann muss am Boden zerstört sein.« Ihr Gesicht hatte sich vor Mitleid verdüstert.
    »Ja. Ich wünschte nur, ich könnte ihm mehr Hoffnung machen.«
    Sie saßen am Esstisch. Die Luft draußen war warm, die langen Vorhänge waren noch nicht zugezogen, sodass die Düfte der Erde und der Blätter des langsam abblühenden Gartens hereinwehen konnten. Jetzt standen die goldenen Chrysanthemen und lila Astern in voller Pracht, die Sommerblumen waren schon geschnitten, aber noch war es nicht an der Zeit, dass die Blätter die Farbe wechselten. Und auch die Holz- und Kartoffelfeuer mussten noch warten.
    »Es gibt nichts, was du tun kannst, Oliver«, ermunterte Margaret ihn liebevoll. »Geh ihm nur nicht aus dem Weg, wenn er wieder in die Gesellschaft zurückkehrt. So viele Menschen tun genau das, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen, und weil es leichter ist, nichts zu sagen, als sich mit dem Schmerz anderer auseinanderzusetzen.«
    »Wenn sie ihn für schuldig befinden, wird Rupert gehängt«, erklärte Rathbone. »Dann wird es keine ›Rückkehr‹ geben.«
    Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. »Gott bewahre, ich meinte Lord Cardew, nicht Rupert! Natürlich werden sie ihn hängen. Eine andere Antwort ist ja nicht möglich!«
    Er musterte sie unverwandt und vermochte keine Spur von Zögern in ihrem Gesicht zu erkennen, nur einen Rest des Mitleids für Lord Cardew, aber keine Gefühle, die Rupert ausgelöst hatte.
    »Parfitt hat ihn erpresst«, fuhr er fort und griff geistesabwesend nach dem Salz, nur um zu merken, dass er es bereits benutzt hatte; er stellte es wieder ab. »Es wäre endlos so weitergegangen.«
    »Natürlich wäre es das, bis sein Vater sich geweigert hätte zu zahlen«, entgegnete sie trocken und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Essen. Sie hatten eine hervorragende Köchin, sowohl was Einfallsreichtum als auch Geschick betraf, doch heute Abend hatte Rathbone keinen Sinn dafür.
    »Du hast mich gar nicht gefragt, ob ich glaube, dass er es war«, hielt er ihr vor und merkte erst danach, wie kritisch er klang.
    Sie legte ihre Gabel auf den Tisch. »Zweifelst du daran?«
    »Es muss immer Raum für Zweifel geben …«
    »Sei nicht pedantisch, Oliver«, fiel sie ihm ins Wort. »Das weiß ich doch, so steht es ja im Gesetz. Ich meine, hast du persönlich noch Zweifel?«
    »Allerdings. Er leugnet es, und ich glaube, dass er die Wahrheit sagen könnte. Er ist wohl kaum der Einzige, der sich Parfitts Tod gewünscht hat.«
    »Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man sich den Tod eines Menschen wünscht oder ob man ihn tatsächlich herbeiführt«, erwiderte sie mit einiger Logik. »Wie groß ist der Unterschied zwischen einem Mann, der andere dafür bezahlt, dass sie kleine Jungen quälen und missbrauchen, und einem, der den Anbieter solcher Gräuel umbringt, statt weiter dafür zu zahlen?«
    Rathbone hörte den Zorn und den Abscheu in ihrer Stimme. Weniger hätte er auch nicht erwartet. Ihm erging es nicht anders. Und doch verstand er auch Ruperts Entsetzen, als er begriffen hatte, wozu ihn seine Blindheit und Dummheit geführt hatten. War es dumm von ihm zu glauben, dass Rupert tatsächlich des Mordes an Parfitt unschuldig sein könnte? Handelte er aufgrund derselben irrationalen emotionalen Treue, die er in Margarets Familie bemerkt hatte? Lord Cardew erinnerte ihn an seinen eigenen Vater, und er hatte auf Anhieb instinktiv Mitleid empfunden.
    »Ich habe mich zu seiner Verteidigung bereit erklärt«, sagte er laut.
    Margaret erstarrte.
    Jetzt war er gezwungen, sich zu

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