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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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aus Seide war. Sie gestand mir, dass sie es gestohlen hat.«
    Rathbone setzte zu einer Erwiderung an, überlegte es sich dann aber anders.
    Lächelnd machte Monk es sich ein bisschen bequemer. »Hat Lord Cardew ihr Geld gegeben, damit sie das sagt?« Er sprach etwas aus, wovon er wusste, dass es Rathbone gerade durch den Kopf ging. »Sie können ihn jederzeit fragen.«
    »Wo ist sie?« Der Anwalt ersparte es sich, seine Meinung über diese Bemerkung zu äußern.
    »Das möchte ich Ihnen lieber nicht sagen«, antwortete Monk. »Um Ihrer Sicherheit und auch der des Mädchens willen.«
    Ganz kurz weiteten sich Rathbones Augen, dann war sein Gesicht wieder eine ausdruckslose Maske. »Was werden Sie jetzt weiter in dieser Sache unternehmen?«, fragte er. »Sind Sie froh, diesen Fall als ungeklärt abhaken und sich einem neuen zuwenden zu können? Will irgendjemand wirklich wissen, wer Parfitt umgebracht hat?«
    »Lord Cardew vielleicht«, bemerkte Monk. »Solange wir nichts Genaues wissen, wird immer ein Schatten auf seinem Sohn liegen. Aber ob er auf eine Klärung drängt oder nicht, ich will es tatsächlich wissen. Nicht dass ich einen Pfifferling auf Parfitt geben würde, aber ich muss herausfinden, wer hinter ihm stand, Oliver.« Er wandte die Augen nicht ab. Und er wusste genau, was Rathbone jetzt dachte, welche Erinnerungen ihm durch den Kopf gingen und was auf ihm lasten würde, wenn er, Monk, recht hatte.
    Mehrere Sekunden lang starrten sie einander an, dann erhob Monk sich. »Es tut mir leid«, sagte er leise, fast im Flüsterton, »aber ich kann diese Sache nicht auf sich beruhen lassen.«
    Rathbone gab keine Antwort.
    Monk ging allein zur Tür. Als er im Foyer am Butler vorbeikam, bedankte er sich ausdrücklich.
    Obwohl die Sonne schien, fühlte sich die Luft draußen kalt an.
    Die nächsten zwei Tage verbrachte Monk damit, jeden zu befragen, der irgendwie mit Mickey Parfitt zu tun gehabt oder in der Nacht des Mordes jemanden direkt am Fluss oder in den Docks von Chiswick oder Mortlake gesehen hatte. ’Orrie, Crumble und Tosh wiederholten ihre Geschichten fast wortwörtlich, und am liebsten hätte er sie durchgeschüttelt. Nichts hatte sich geändert. Es stand immer noch im Raum, dass Ballinger körperlich in der Lage gewesen wäre, Parfitt zu töten, doch ohne ein offensichtliches Motiv, ohne Beweis, dass die zwei einander gekannt hatten, konnte man allenfalls von einer Mutmaßung, nicht von einem konkreten Verdacht sprechen.
    Monk lief einen Uferweg den Corney Reach entlang, als er gegen einen Angler prallte.
    »Laufen Sie doch nicht so dicht hinter mir!«, zischte ihn der Mann an. »Ich hätte Ihnen mit der Rute das Auge ausstechen können, Sie Trottel! Wo sind Sie denn aufgewachsen? In der Wüste?« Der Mann, der so schimpfte, war ein dürrer kleiner Bursche mit langer Nase und hohlen Wangen. Seine tief über die Stirn gezogene Mütze verbarg das, was ihm von seinen Haaren noch geblieben war.
    Monk bat um Entschuldigung, was ungnädig akzeptiert wurde. Danach wollte er eigentlich schon weiterlaufen, aber aus bloßer Gewohnheit stellte er doch noch seine Frage: »Verbringen Sie viel Zeit hier?«
    Der Fischer blinzelte ihn scheel an. »Natürlich tue ich das, Sie Blödmann! Ich leb schließlich dort drüben.« Mit einer ruckartigen Bewegung wies er in die Richtung eines Feldwegs, der von dem Städtchen in die Felder führte.
    »Haben Sie ein Boot?«
    »Ja, aber es is’ nich’ zu vermieten. Ich will nich’, dass irgendein Hornochse, der nich’ weiß, wo vorn und wo hinten is’, es mir zu Bruch fährt.«
    »Ich bin auf Booten aufgewachsen«, entgegnete Monk säuerlich. Dass nach seinem Gedächtnisverlust nur Bruchstücke von Erinnerungen in ihm aufflackerten, ging diesen Mann nichts an. »Und ich bin auf der Suche nach Zeugen, nicht nach einem Boot zum Rausrudern.«
    »Zeugen wofür? Ich hab nix gesehen. Nich’ mal ein blöder Fisch hat sich heute gezeigt.«
    »Es geht nicht um heute. Sondern um den Tag, bevor Mickey Parfitts Leiche aus dem Fluss gezogen wurde.«
    Der Mann kniff die Augen zusammen. »Was gab’s da schon zu sehen?«
    »Leute, die kamen und gingen, und zwar solche, die keine Fährmänner waren. Irgendjemand, der sich ungewöhnlich verhielt. Irgendjemand, der in Eile war, Angst hatte, stritt, wegrannte.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Herrgott, Sie wollen nich’ grade viel, was? Das Einzige, was ich gesehen hab, war, dass Tosh über den Kai hinter Mickey hergerannt is’ und geschrien

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