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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zustand?
    Das brachte Monk auf eine Frage, die er zugleich fürchtete und doch am dringendsten zu beantworten suchte: Könnte es Ballinger selbst gewesen sein, der Parfitt getötet hatte? Oder war dieser Gedanke abwegig?
    Erneut rechnete er sorgfältig die Zeiten für jede Aktion durch. Wenn jeder die Wahrheit sagte – Tosh, ’Orrie Jones, Crumble, der Fährmann, Harkness, Hattie Benson und sogar Rupert Cardew –, dann war es doch möglich, dass Ballinger, laut Harkness ein starker Ruderer, mit dem Boot seines Gastgebers losgerudert war und Parfitt irgendwo am Ufer getroffen hatte. Dort hätte er ihn töten und die Leiche ins Wasser legen können, bevor er zurückruderte, um das Boot wieder an Ort und Stelle zu vertäuen, und hätte, genauso wie er ausgesagt hatte, die Fähre zurück nach Chiswick genommen. Dieser Zeitrahmen war zwar knapp, aber einzuhalten. Der Gedanke daran lag Monk schwer im Magen, sorgte für Übelkeit und ließ sich einfach nicht abschütteln.
    Wie aufrichtig war sein eigenes Denken in dieser Angelegenheit? Wünschte er die Antwort tatsächlich so verzweifelt herbei, dass er dafür alles in Kauf nehmen würde, alles außer einer Niederlage?
    Was er benötigte, war ein Beweis dafür, dass Ballinger Parfitt und – falls möglich – auch Jericho Phillips gekannt hatte. Das würde erfordern, dass er sämtliche Spuren ein weiteres Mal sorgfältig zurückverfolgte und im Hinblick auf ein neues Handlungsmuster analysierte, das sich grundsätzlich von den bisher für möglich gehaltenen Abläufen unterschied. Und damit musste er sofort anfangen, sobald er diese Hattie Benson gesprochen und ihre Aussage über das Halstuch überprüft hatte.
    Er traf sie am nächsten Vormittag in der Küche ihres kleinen Hauses an, das sie in Chiswick mit jemandem teilte. Sie wirkte müde und hatte verquollene Augen, aber auch wenn der Gürtel ihres Morgenrocks zerrissen war und ihr Haar sich aus den Klammern gelöst hatte und völlig zerzaust herunterhing, zeugten ihre makellose Haut und ihr naives Gesicht von Schönheit.
    »Ich hab nix getan!«, rief sie, noch bevor Monk sich ihr gegenüber auf den Stuhl mit der wackeligen Lehne gesetzt hatte.
    »Ich will Sie ja gar nicht verhaften, Miss Benson«, wiegelte er mit einem düsteren Lächeln ab. »Ich glaube nur, Sie können mir helfen.«
    Sie verdrehte die Augen. »Ach ja? Um diese Zeit am Morgen schon? Sie sollten sich was schämen! Was, meinen Sie, würde Ihre Frau dazu sagen, hä?«
    »Das können Sie sie selbst fragen, wenn Sie sie wiedersehen. Ich würde gerne noch einmal von Ihnen hören, was Sie ihr über das Halstuch erzählt haben, das Sie Rupert Cardew gestohlen haben.«
    Hattie starrte ihn mit offenem Mund an.
    »Sie kam hierher in Begleitung eines Mannes namens Crow, wie ich glaube«, fügte Monk hinzu. »Sie haben ihnen erzählt, was hier an dem Tag vor dem Fund von Mickey Parfitts Leiche geschehen ist. Jetzt muss ich Sie bitten, mir alles noch einmal zu berichten, und zwar möglichst detailliert.«
    Sie erstarrte. »Das kann ich nich’!«
    »O doch!«, beharrte er. »Es sei denn, natürlich, Sie hätten gelogen.« Wie konnte er das Mädchen dazu bringen, ihm alles zu schildern, und sich gleichzeitig davon überzeugen, dass es die Wahrheit war? Vielleicht hatte sie sich im Gespräch mit Hester und Crow als einfache Zeugin gesehen und erst jetzt begriffen, welche Gefahren ihr drohten, wenn sie der Polizei erklärte, dass Cardew unschuldig war. Womöglich dämmerte ihr nun, dass man den Fall von vorn aufrollen und alle möglichen Leute verhören würde, die sie kannte und die sie kannten.
    »Hattie.« Er zwang sich, in sanftem Ton zu sprechen, gleichwohl beugte er sich etwas weiter über den Tisch. »Ich will Sie nicht wegen Diebstahls anzeigen, egal, ob Sie vorhatten, das Halstuch für sich zu behalten, zu verkaufen oder es jemandem zu schenken. Und ich halte es bestimmt nicht für wahrscheinlich, dass Sie Mickey Parfitt damit erdrosselt haben, auch wenn das andererseits nicht unmöglich wäre.« Er ließ die Andeutung bewusst in der Schwebe.
    »Sie sind verrückt, Mann! Total verrückt!«, schrie sie entsetzt. »Wie, in Gottes Namen, soll ich denn einen Mann wie Mickey erdrosseln? Er war zwar dürr wie ein Besenstil, aber Kraft hatte er! Der hätte mir den Schädel eingeschlagen.«
    »War er gewalttätig?«
    »Und ob er gewalttätig war, Sie Schafskopf! Der hat jeden zu Brei geschlagen, der ihn geärgert hat.«
    »Wen, zum Beispiel?«
    »Sie glauben,

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