Eines Abends in Paris
Baguette vor mich hin. Dann entkorkte er umständlich die neue Weinflasche.
»Erwarten Sie noch jemanden, Monsieur?«
Ich fand seine Frage ausgesprochen komisch. »Ich?«, fragte ich und zeigte in einer großartigen Geste auf mich selbst. »Aber nein. Um Gottes willen, sehe ich so aus? Ich bin allein .Je suis tout seul. Wie alle Idioten.« Ich lachte über meinen tollen Witz und nahm einen großen Schluck aus dem wieder gefüllten bauchigen Glas. »Möchten Sie einen mittrinken – ich lade Sie ein. Aber nur, wenn Sie auch so ein Idiot sind.«
Der Kellner lehnte dankend ab und entfernte sich mit irritierter Miene. Er schien geradewegs in eines der Gemälde zu gehen, die an den Wänden hingen. Das war seltsam. Ich schüttelte ein paar Mal energisch den Kopf und dann sah ich ihn wieder mit seinen Kollegen am Tresen lehnen. Sie sahen zu mir herüber. Das La Palette füllte sich allmählich.
Ein großer stattlicher Herr betrat mit wehendem Mantel das Bistro und schüttelte ausgiebig seinen Regenschirm, bevor er ihn mit dem Ausruf »Was für ein Sauwetter!« zuklappte. Mein Kellner hastete nach vorn und nahm ihm – völlig untypisch – Schirm und Mantel ab.
Ich sah neugierig herüber. Jede Bewegung, die der kantige Mann mit den schwarzen Haaren machte, strotzte nur so vor Wichtigkeit. Für wen hielt er sich denn – für den Kaiser von China? Ich hatte sofort eine unangenehme Schwingung, als er sich jetzt im hinteren Teil des La Palette unweit von meinem Tisch krachend auf einen Stuhl fallen ließ und ein Steak frites bestellte.
Er schlug eine Zeitung auf und blickte mit selbstgefälliger Miene umher. Ich kniff die Augen zusammen und überlegte, woher ich den Wichtigtuer kannte. Und dann fiel es mir wieder ein. Es war Georges Trappatin – der Besitzer eines der größten Multiplex-Kinos auf den Champs-Elysées.
Ich hatte einmal das zweifelhafte Vergnügen gehabt, bei einer Veranstaltung der Cinémathèque française den ganzen Abend neben ihm zu sitzen und mir seine blöden Sprüche anzuhören. »Dass ihr kleinen Kinobesitzer euch immer noch was vormacht«, hatte er damals kopfschüttelnd gesagt. »Die Filme sind ja schön und gut, um die Leute aus ihren Wohnzimmern zu locken, aber den Umsatz muss man mit Werbung, Popcorn und Getränken machen. Alles andere rechnet sich nicht.«
Ich nahm einen Schluck Wein und bemerkte zu meinem Schrecken, dass auch Monsieur Trappatin mich bemerkt hatte. Er stand auf und kam mit schwerfälligen Schritten an meinen Tisch herüber. Dann schwebte sein rötliches Gesicht über mir wie ein chinesischer Lampion.
»Na so was, Monsieur Bonnard!«, sagte er. »Das nenne ich ja mal eine Überraschung. Long time, no see, harharhar!«
Ich betrachtete aufmerksam seine fleischigen Lippen, die sich öffneten und schlossen wie die beweglichen Kiefer einer Marionette, und gab ein unbestimmtes Brummen von mir.
»Dabei hab ich neulich noch an Sie gedacht, ohne Spaß. Das kleine Cinéma Paradis …« Er schüttelte den Kopf. »Bei Ihnen brummt’s ja jetzt gewaltig, was? Hab’s in der Zeitung gelesen. Da ist ja mal ein Schluck aus der Pulle, was?!« Sein Mund verzog sich zu einem anerkennenden Grinsen.
Ich starrte angelegentlich auf meine Rotweinflasche und er folgte meinem Blick.
»Na, wie ich sehe, feiern Sie schon kräftig, harharhar!«
Georges Trappatin schlug mir kumpelhaft auf die Schulter, und ich kippte fast von meinem Stuhl. »So ’n bisschen Presserummel ist ja schon die halbe Miete, was?« Wieder folgte ein dröhnendes Lachen, das seltsam hohl in meinem Kopf widerhallte. Ich zuckte schmerzlich berührt zusammen. Monsieur Trappatin wertete dies offenbar als Zustimmung.
»Na, freut mich jedenfalls für Sie, dass Ihre kleine Klitsche auch mal ein Stück vom Kuchen bekommt«, meinte er gönnerhaft. »Ich persönlich glaube ja nicht an die Zukunft dieser kleinen Kinos.«
Er lehnte schwer auf meinem Tisch und ich sackte in meinem Stuhl zurück.
»Das hat sich überlebt, ganz klar. Man muss eben mit der Zeit gehen, was? Die Leute wollen heute Action. Event-Kino mit allem Schnickschnack.« Er richtete sich wieder auf. »War neulich noch auf einer Messe in Tokio. Diese Asiaten sind ja nicht so mein Fall, aber ich muss zugeben, was die ganze Technik angeht, sind die uns einen Riesenschritt voraus. Da ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht, da muss man kein Prophet sein.« Er schnaufte begeistert.
»Ich mach jetzt in 4-D. Das ist der Knaller, sag ich Ihnen! Sensory
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