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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Dann entdecke ich Kaplan, einen der Kandidaten, in einer Ecke, kaum zu sehen ist er, mit seinen Spezies, dem Herbie Cohen, dieser Flasche, dem Harold Gestetner und dem Hymie Stern. Immerfort stecken sie die Köpfe zusammen und flüstern, und er nickt und hat ein Blatt in der Hand, auf dem er irgendwas abhakt, das ist wohl die Mitgliederliste, und plötzlich geht mir ein Seifensieder auf. Er macht noch Wahlkampf. Magnuson glänzt durch Abwesenheit, und da ist Kaplan nicht faul und versucht, die Mitglieder hinter sich zu bringen.» Er nickte und klapperte, stolz auf seinen Scharfblick, mit den Augendeckeln.
    «Und wie haben Sie das alles beobachtet?» wollte der Rabbi wissen. «Hatten Sie keinen Unterricht?»
    «Doch, um zehn. Komm ich um zehn ins Büro, weil ich mein Klassenbuch holen will. Wer sitzt an meinem Schreibtisch? Sam Feinberg, unser Präsident, in voller Größe. ‹Es stört Sie doch nicht, wenn ich Ihr Büro benutze?› sagt er. Offen gestanden, Rabbi – es hat mich schon gestört, weil, Sie wissen ja, wie das bei mir im Unterricht geht, ich lauf zwischendurch immer mal wieder ins Büro nach irgendeinem Text, mit dem ich einen bestimmten Punkt belegen will. Aber wo doch Sam Feinberg drinsaß, im Büro, meine ich, ging das nicht, weil er gedacht hätte, ich wollte ihm nachspionieren, und da hab ich meiner Klasse einfach was Schriftliches gegeben. Ab elf bin ich sonst immer in meinem Büro, falls Eltern mich wegen ihrer Kinder sprechen wollen. Aber wie ich reinkomme, um die Arbeiten meiner Klasse in den Schreibtisch zu tun, schaut er mich an wie eine – einen –»
    «Störenfried», half Miriam aus.
    «Genau, wie einen Störenfried. Also geh ich wieder auf den Gang und drück mich an der Aulatür rum und denk mir, wenn jemand mich sprechen will, bin ich ja nicht zu übersehen.»
    «Aber dann wurde irgendwann die Versammlung doch eröffnet», sagte der Rabbi geduldig.
    «Logisch. Aber wann? Viertel vor zwölf», sagte Brooks triumphierend, als hätte er damit einen dicken Pluspunkt für sich verbuchen können.
    Der Rabbi schaute auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand. Es war halb eins. «Die Versammlung läuft demnach noch?»
    «Die ist gelaufen, Rabbi. Um Viertel vor zwölf haben sie angefangen. Punkt zwölf war Schluß.»
    «Und die Wahl? Ist überhaupt gewählt worden?»
    «Darauf wollte ich ja gerade kommen, aber der Mann läßt einen ja nicht ausreden.»
    «Laß ihn doch auf seine Art erzählen, David», mahnte Miriam.
    Morton Brooks warf ihr einen dankbaren Blick zu. «Sehr lieb von Ihnen, Miriam.»
    «Schön, ich kann mir die Szene vorstellen», sagte der Rabbi. «Alle stehen herum und reden und –»
    «– und Kaplan ist auf Stimmenfang.» Brooks hielt mahnend den Zeigefinger hoch. «Vergessen Sie das bitte nicht. Seine Leute schleichen rum, wispern mal mit diesem, mal mit jenem und gehen dann wieder zu Kaplan, um Bericht zu erstatten.»
    «Gut, ich will’s nicht vergessen», versprach der Rabbi ergeben.
    «Ich sag mir also, das sind bestimmt Kaplans Leute, die auf der Bremse stehen. Und warum? Damit sie noch überall rumkommen und möglichst viele Mitglieder bearbeiten können, ehe die Wahl steigt. Und ich sag mir, daß er bestimmt spielend gewinnt, schließlich ist er ja praktisch von Anfang an Mitglied und ein frommer Mann, der täglich zum Minjan rennt, und dieser Magnuson ist gerade erst in der Gemeinde aufgetaucht, und keiner kennt ihn. Aber da seh ich, wie Kaplan ein ernstes Gesicht zieht, als ob’s nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hat, und dann stecken sie alle in der Ecke die Köpfe zusammen, und ich merke, daß sie sich über irgendwas ereifern und der eine das meint und der andere jenes. Aber bald sind sie sich wieder einig und nicken wie die Marionetten. Dann trottet Kaplan nach vorn, zu Melvin Weill, dem Sekretär. Er beugt sich zu ihm herüber und flüstert ihm was zu, und ich seh, daß Melvin ganz verdattert ist. Dann nickt er und steht auf und rennt raus. Ich steh an der Tür, aber nicht mal für einen Gruß bin ich ihm gut, wo ich schon wer weiß wie oft bei ihm zu Hause war. Er verschwindet in meinem Büro, in dem noch immer Sam Feinberg sitzt.
    Ich überleg, ob ich hinterher soll, so, als ob ich was aus meinem Schreibtisch holen will, aber wie ich mich noch besinne, geht die Tür auf, und da erscheint Feinberg und geht zur Aula, und in der Tür bleibt er stehen, und wie sie ihn sehen, wird’s langsam ruhig, und sie suchen sich einen Platz, wie Kinder, wenn der

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