Eines Tages geht der Rabbi
Lehrer mal eben rausgegangen ist und ins Klassenzimmer zurückkommt. Feinberg geht zum Podium und eröffnet die Versammlung. Es ist Viertel vor zwölf. Und dann sagt Feinberg: ‹Mr. Kaplan, einer unserer beiden Kandidaten, hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, daß er im Interesse einer größeren Geschlossenheit in der Gemeinde seine Kandidatur zurückzieht und vorschlägt, Howard Magnuson, den einzigen verbleibenden Bewerber, durch Zuruf zu wählen.› Also, ich sag euch, minutenlang war das ein richtiges Inf-Inf…»
«Inferno?» schlug der Rabbi vor.
«Genau, ein richtiges Inferno, ein Knatsch und Krakeel. Kaplans Leute wußten ja, was Sache war, die hatten das gerade erst geritzt, als sie mit Kaplan geflüstert hatten, aber die anderen, die sie vorher belatschert hatten, für Kaplan zu stimmen, denen hatten sie nicht Bescheid gesagt. Und von denen dachten doch wirklich ein paar, Magnuson hätte Kaplan gekauft. Sie staunen ja gar nicht, David.»
«Ganz und gar nicht», sagte der Rabbi. «Ich habe mir gleich gedacht, daß Magnuson gewinnen würde.»
«Und warum?»
«Und warum hat Kaplan sich kampflos ergeben?» fragte Miriam.
«Ich glaube, Morton hat das ganz richtig erkannt. Kaplan hat die Stimmen ausgezählt und gemerkt, daß ihm eine vernichtende Wahlniederlage bevorstand. Und um sich die Blamage zu ersparen, hat er aufgegeben.»
Morton Brooks hob die Hände und schüttelte den Kopf. «Ich begreif das nicht. Wieso haben die denn alle für Magnuson gestimmt?»
«Wenn Sie nach New York fahren, Morton, und dort Ihren Freunden und Bekannten erzählen, daß Sie die Religionsschule der Synagoge von Barnard’s Crossing leiten – halten Sie es dann für völlig ausgeschlossen, daß Sie hinzusetzen: ‹Unser Präsident ist übrigens Howard Magnuson. Der Howard Magnuson …›»
Brooks hob gleichmütig die Schultern. «Völlig ausgeschlossen? Ja, ich weiß nicht … Na schön, nehmen wir mal an, ich würde so was in der Art sagen, aber …»
«Und genauso geht es allen Mitgliedern unserer Gemeinde. Kaplan ist ein anständiger Kerl, aber ein ganz gewöhnlicher Mensch. Magnuson dagegen ist eine Persönlichkeit. In Time war ein Artikel über ihn, und die Aktien von Magnuson & Beck werden an der Börse gehandelt. Der eine oder andere mag sich von einer Wahl Magnusons zum Präsidenten Spenden für verschiedene Vorhaben erhoffen, aber die meisten, glaube ich, hat einfach die Verbindung mit einem großen Namen gereizt.»
«Gut und schön, aber weshalb ist er so scharf auf das Amt?»
Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Das weiß ich nicht.»
«Vielleicht ist er religiös», mutmaßte Brooks.
Der Rabbi lächelte. «Kann sein, daß so ein Wirtschaftsboss zur Religion kommt, indem er sich zum Vorsteher der Gemeinde wählen läßt. Möglich ist alles …»
9
In seltsamem Gegensatz zu seinem flotten Aussehen stand das kleine möblierte Apartment in Revere, das Tony D’Angelo bewohnte. Es war eine Gegend, in der die Bevölkerung vornehmlich der unteren Mittelschicht angehörte, und die dürftige Einrichtung war billig und verwohnt. Das Apartment bestand aus einem einzigen, nicht ganz kleinen Raum, der gleichzeitig als Küche, Wohn-, Eß- und Schlafzimmer diente, und einem Bad. Aber das war nicht weiter wichtig, denn Leute, auf die es ihm ankam, brachte er nie hierher.
Millie Hanson, die jetzt seit etlichen Monaten mit ihm zusammenlebte – fast so, als wenn wir verheiratet wären, dachte er hin und wieder –, war vierzig, blond und drall. Sie stammte aus einer Kleinstadt in Nebraska und hatte sich allmählich zur Ostküste durchgeschlagen. Dabei hatte sie sich mit ungelernten Jobs – als Verkäuferin, Kassiererin im Supermarkt oder Kellnerin – über Wasser gehalten und war schließlich in Revere gelandet, wo sie in einem der Nachtklubs an der Strandpromenade als Bedienung arbeitete. Sie war kein Kind von Traurigkeit und ging bereitwillig auf Tonys Vorschlag ein, mit in seine Wohnung zu kommen. Es hatte keine langwierige Werbung gegeben. Sie zog ganz selbstverständlich ein, und es galt als stillschweigend vereinbart – ausdrücklich hatten sie nie darüber gesprochen –, daß sie einfach wieder verschwinden würde, wenn ihm oder ihr der Sinn nach Abwechslung stand.
Ihren Job in dem Nachtklub hatte sie behalten. Manchmal kam Tony kurz vor der Polizeistunde vorbei und holte sie ab, sonst nahm sie sich ein Taxi. Wenn die Wohnung bei ihrer Heimkehr im Dunkeln lag, schlief er schon. Dann leuchtete sie sich, um ihn
Weitere Kostenlose Bücher