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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Rand des Blattes. «Kantor … Bar Mitzwa. Fällt Ihnen sonst noch was ein?» Er sah auf, den Bleistift gezückt.
    «Wenn eine Lehrkraft ausfällt, übernehmen Sie den Unterricht.»
    Morton Brooks kratzte sich nachdenklich am Ohr und strich dann sorgfältig das Haar über der kahlen Stelle zurecht. «Lieber nicht», sagte er. «Da kommt er nur auf dumme Gedanken.»
    «Er?»
    «Magnuson. Er hat das angefordert. Haben Sie keinen Fragebogen bekommen? Wenn ich sage, daß ich beim Ausfall von Lehrkräften einspringe, denkt er bestimmt, ich hätte Zeit, noch eine Klasse zu übernehmen, so daß sich vielleicht eine Lehrkraft einsparen läßt. Typen wie Magnuson machen mich nervös.»
    «Warum denn das?»
    «Wenn er schon Stellenbeschreibungen von uns verlangt, dauert’s gar nicht mehr lange, bis er eine Refa-Studie machen läßt, und das endet dann damit, daß er uns nur noch Akkordlohn bezahlt.»
    Der Rabbi lachte. «Das ist nicht sehr wahrscheinlich.»
    «Nein? Was wissen Sie von Howard Magnuson?»
    «Soviel ich weiß, besteht da eine Beziehung zu Magnuson & Beck, also nahm ich an, daß er im Einzelhandel tätig ist …»
    «Falsch», sagte Brooks abschätzig. «Das Warenhaus haben sie schon 1929 verkauft. Kann natürlich sein, daß sie es wieder zurückgekauft haben, denn Magnuson & Beck ist ein Mischkonzern, das heißt, ihr Geschäft ist es, Geschäfte zu machen. Ich habe damals in Time den Artikel über ihn gelesen, und nachdem Magnuson gewählt worden war, hab ich ihn noch mal rausgeholt. Magnuson kauft und verkauft Firmen wie andere Leute Schuhe oder Autos. Er kauft eine Firma auf, dann setzt er seine handverlesenen Manager rein, die machen mächtig Dampf und schmeißen die alten Hasen raus. Rationalisierung nennt man das. Und wenn der Vierteljahresbericht günstig ist und die Kurse steigen, kaufen sie mit dem aufgewerteten Aktienpaket die nächste Firma auf, oder sie melken den Laden eine Weile und stoßen ihn dann wieder ab. Sie haben Elektronikfirmen und Hotels und eine Firma, die Nägel für Baseballschuhe herstellt. In dem Artikel nennen sie Magnuson einen Romantiker, weil er am liebsten Unternehmen aufkauft, die ihn interessieren. Hat sich was mit Romantiker.»
    «Sie glauben also, er wird versuchen, unsere Effizienz zu steigern und uns dann gegen eine andere Synagoge oder vielleicht eine Kirche einzutauschen?»
    «Lachen Sie ruhig, David, aber ich sage Ihnen, der wird uns noch Ärger machen. Er ist nicht einer von uns.»
    «Was soll denn das nun wieder heißen?»
    «Wir sind alle zweite oder dritte Generation. Unsere Eltern oder Großeltern kamen aus Rußland, Polen oder Litauen. Ich möchte wetten, daß Sie im Vorstand keinen finden, dessen Eltern oder zumindest die Großeltern nicht noch Akzent gesprochen haben. Der Geruch nach Stätel hängt uns noch an. Magnuson ist anders. Amerikaner in der fünften, vielleicht sogar sechsten Generation. In dem Artikel steht, daß sein Ururgroßvater im Bürgerkrieg gekämpft hat. Er denkt nicht wie wir. Er ist ein Yankee, ein WASP–»
    «WASP – das heißt doch aber weiß, angelsächsisch, protestantisch.»
    «Na schön, ist er eben ein Protestant, aber Sie wissen schon, wie ich’s meine. Er ist nicht wie wir, und das bedeutet Ärger. Nehmen Sie diese Stellenbeschreibungen, die er von uns verlangt. Ich will nicht sagen, daß etwa Sam Feinberg nicht auf so eine Idee hätte kommen können, als er Präsident wurde. Ich kann mir sogar vorstellen, daß er die Fragebogen herumgeschickt hätte. Vielleicht hätte er sie sogar gelesen. Aber dann hätte er die Dinger in eine Schublade gestopft und nie wieder einen Gedanken daran verschwendet. Howard Magnuson macht das ganz anders, warten Sie nur ab. Er wird jeden einzelnen Bogen durchackern, wird die Angaben miteinander vergleichen, und wenn sie sich nicht decken, gibt’s Zores.» Sein Ton wurde auffallend beiläufig, und der Rabbi ahnte, daß er jetzt mit dem wahren Grund für seinen Besuch herausrücken würde. «Und da hab ich mir gedacht, weil wir doch beide auf unsere Art die Oberaufsicht über die Religionsschule haben, daß wir unsere Stellenbeschreibungen aufeinander abstimmen sollten, damit sie sich, will ich mal sagen, ergänzen und sich nicht etwa widersprechen.» Er sah den Rabbi erwartungsvoll an.
    «Ich habe keine Stellenbeschreibung gemacht.»
    «Haben Sie keinen Fragebogen bekommen?»
    «Doch, aber wohl nur irrtümlich.»
    «Wenn er an Sie gegangen ist, war es kein Irrtum, David. Magnuson erwartet von Ihnen,

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