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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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der Mehrzahl interessierte Laien sind. Bei unserem Kantor fällt mir überhaupt keine vergleichbare kirchliche Position ein. Am ehesten entspricht sie noch dem des Chorleiters, aber ganz deckt sich das auch nicht.»
    «Ich dachte hauptsächlich an den Rabbi», sagte Magnuson. «Eine Parallele zwischen dem Rabbi und einem protestantischen Pfarrer oder katholischen Priester zu ziehen ist doch bestimmt zulässig.»
    «Nur oberflächlich betrachtet», wandte Halperin ein. «Der Pfarrer oder Priester hat eine innere Berufung, er wird auserwählt, das Wort Gottes zu predigen, etwa wie der Prophet Jona.»
    «Und weiter?»
    «Und deshalb ist er in der Lage eines Menschen, der sich eifrig bemüht, eine nicht sehr gefragte Ware an den Mann zu bringen. Wir haben es hier mit einem Käufermarkt zu tun.»
    «Und der Rabbi?»
    «Der hat keinen göttlichen Befehl. Er wird Rabbi, wie jemand Jurist oder Mediziner wird, und er geht in eine Gemeinde, weil die ihm einen Vertrag angeboten hat. Deshalb regelt hier das Gesetz von Angebot und Nachfrage den Markt, und Rabbis gibt es eben nicht wie Sand am Meer.»
    «Sie scheinen sich auf dem Gebiet recht gut auszukennen.»
    Halperin feixte. «Kunststück! Wir haben selber einen Rabbi in der Familie. Meinen kleinen Bruder.»
    «Aha. Ja, also den Vergleich mit den Kirchen habe ich eigentlich eher am Rande erwähnt. Was mich hauptsächlich interessiert, ist der Unterschied zwischen den einzelnen Synagogen. Da sind zunächst einmal Abweichungen zwischen den reformierten, den konservativen und den orthodoxen Gemeinden.»
    «Das ist klar, denn da kommt es sehr auf die Größe und die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde an. Die orthodoxen Gemeinden sind eher klein. Manchmal sind es die Reste einer Gemeinde, die in der Stadt geblieben sind, während die anderen die Abwanderung in die Vororte mitgemacht haben.»
    «Das ist mir klar. Trotzdem ist es überraschend. Die Gehälter der Lehrer in den Religionsschulen sind – wenn man die Unterschiede zwischen Groß- und Kleinstädten berücksichtigt – auffallend gleich. Bei den Kantorengehältern dagegen sind die Unterschiede erheblich.»
    «Auch die Unterschiede der Stimmen sind erheblich», wandte Halperin ein.
    «Gewiß. Aber die Gehälter der Rabbis wiederum liegen – wenn man Größe und sozialen Status der Gemeinden und dergleichen in Rechnung stellt – mehr oder weniger auf einer Ebene.»
    «Ach, wirklich?»
    «Und deshalb wundere ich mich über das Gehalt, das wir Rabbi Small zahlen. Es liegt beträchtlich unter dem anderer Rabbis in vergleichbaren Stellungen.»
    «Das könnte daran liegen, daß er nie um Gehaltserhöhung gebeten hat.»
    «Was andere Rabbis sehr wohl tun, wollen Sie sagen …»
    «Ja, entweder sie selbst oder ihre Clique.»
    «Ihre Clique? Wie darf ich das verstehen?»
    Halperin lehnte sich zurück. «Zum Thema Rabbi muß ich Ihnen wohl noch das eine oder andere beibringen, Mr. Magnuson. Der Rabbi ist, wie viele Mitarbeiter im öffentlichen Dienst – Bürgermeister etwa oder Schulleiter –, in einer etwas prekären Situation. In der Gemeinde gibt’s immer ein paar Leute, die mit ihm nicht können. Weil sie mit seinem Vorgänger befreundet waren, oder weil ihre Frauen die Rabbitzin für eingebildet halten, weil ihnen seine Frisur nicht gefällt oder aus irgendeinem anderen der tausend Gründe, warum manche Leute einander nicht leiden können. Er hat einen Dienstvertrag, aber so ein Dienstvertrag ist nicht viel wert. Wenn sie ihn loswerden wollen, brauchen sie ihm – Vertrag hin, Vertrag her – nur das Leben so schwer wie möglich zu machen. Und weil er schon durch irgendeine Bemerkung in einer Predigt Diskussionen auslösen kann, gibt es immer irgendwelche Grüppchen, die ihn gern loswerden würden. Wenn der Mann klug ist, versucht er deshalb, sobald er neu in eine Gemeinde kommt, ein paar Freunde und Parteigänger zu gewinnen, möglichst natürlich aus dem Kreis der einflußreichen Gemeindemitglieder.»
    «Verstehe.»
    «Das ist dann seine Clique, die hinter ihm steht und ihn bei Auseinandersetzungen unterstützt. Gehaltsfragen zum Beispiel sind Fragen der Clique. Wenn der Rabbi sich scheut, selbst um Gehaltserhöhung zu bitten oder um ein Sabbatjahr in Israel oder dergleichen, bringt die Clique das im Vorstand zur Sprache.»
    «Ja, das ist mir jetzt klar. Und wer gehört zu Rabbi Smalls Clique?»
    «Das ist es ja eben – er hat keine. Gewiß, es gibt Leute, die ihn mögen, aber das hindert Rabbi Small nicht daran,

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