Eines Tages geht der Rabbi
deinen Vertrag nicht verlängert. Ist dir eigentlich klar, daß er in Kürze abläuft?»
«Nein, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Vielleicht ist das die Erklärung. Howard Magnuson ist Geschäftsmann und achtet auf Details. Da mein Vertrag in Kürze abläuft, wird er den Vorstand darüber abstimmen lassen. Daß er das in meiner Anwesenheit nicht tun möchte, ist ja verständlich.»
Als Miriam ihn am Sonntag zum morgendlichen Minjan weckte, räkelte er sich genüßlich. «Ich glaube, das schenke ich mir heute. Ich spreche meine Morgengebete zu Hause.»
«Ist was, David? Fühlst du dich nicht wohl?»
«Alles in Ordnung. Pure Faulheit. Ich möchte mich einfach auch mal ein bißchen verwöhnen.»
Als sie, nachdem er gebetet hatte, beim Frühstück saßen, ließ er sich zu einer näheren Erklärung herbei. «Die Sitzung fangt gleich nach dem Minjan an. Die Vorstandsmitglieder, die beim Minjan waren, schlendern einfach den Gang entlang ins Vorstandszimmer, wodie anderen, die nicht beim Minjan waren, unter ihnen meist Magnuson, schon warten. Nach ein paar Minuten eröffnet er dann die Sitzung. Wenn ich nach dem Minjan in die andere Richtung gehe, zur Treppe, die zu meinem Büro führt, fragt bestimmt jemand, ob ich nicht zur Sitzung kommen will. Ich glaube kaum, daß sie Ruhe geben würden, wenn ich einfach nein sage, sie würden vermutlich den Grund wissen wollen, und es ist mir ein bißchen peinlich, wenn ich dann zugeben muß, daß man mich gebeten hat, nicht zu erscheinen.»
«Aber wenn es sich, wie du gesagt hast, um eine förmliche Abstimmung über die Verlängerung deines Vertrags handelt, könnten sie das doch zuerst erledigen und dann bei dir im Büro anrufen und dich herunterholen.»
«Gewiß. Aber ich möchte nicht, daß es aussieht, als müßte ich immer nach ihrer Pfeife tanzen. Außerdem laufen unsere Vorstandssitzungen nicht einmal unter Magnuson, der redlich versucht, ein bißchen Zug hi neinzubringen, so glatt ab. Bei uns wird mehr geredet als erledigt. Auch wenn Magnuson die Frage gleich nach den Ausschußberichten zur Abstimmung stellen würde, um die Sache hinter sich zu haben, würden sie trotzdem endlos darüber diskutieren, auch wenn es eine reine Routinesache ist. Keiner läßt sich die Chance entgehen, etwas über mich zu sagen, wie ich in dieser oder jener Sache danebengegriffen, wie ich dies getan und jenes gelassen habe …»
«Hast du denn überhaupt keine Freunde im Vorstand, David?»
«Wie man’s nimmt. Im Grunde komme ich mit den meisten, ja, eigentlich mit allen Vorstandsmitgliedern klar. Aber eine Clique, eine Gruppe, die hinter dem Rabbi steht, die habe ich nicht.»
«Vielleicht ist das ein Fehler. Denk an das, was Rabbi Bernstein gesagt hat …»
«Saul Bernstein war schon im Seminar ein geschickter Taktiker, für ihn ist es ganz selbstverständlich, die Kontakte zu den richtigen Leuten zu pflegen, mit ihnen zu essen, mit ihnen auszugehen. Wie soll ich das machen? Es gibt überhaupt nur drei oder vier, in deren Haus ich essen könnte. Die anderen haben keine koschere Küche. Außerdem ist das ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Wenn du Unterstützung für die eigenen Vorhaben erwartest, mußt du deinerseits auch ihre Projekte unterstützen. Nein, ich gehe lieber meinen eigenen Weg.»
Das klang leicht gereizt. Sie sprachen nicht zum erstenmal über diese Frage. Miriam wechselte wohlweislich das Thema. «Wann, glaubst du, wirst du Bescheid bekommen? Ob sie dir einen Brief schicken?»
«Da Magnuson es so genau mit Formalitäten nimmt, werden sie mir ihre Entscheidung wohl schriftlich mitteilen. Aber ich rechne damit, daß mich gegen Mittag oder gleich nach Schluß der Sitzung der Sekretär anruft.»
Aber es war nicht der Sekretär, der anrief, sondern Magnuson höchstpersönlich. «Rabbi? Hier Magnuson. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir soeben beschlossen haben, Ihr Gehalt mit sofortiger Wirkung um 6000 Dollar jährlich zu erhöhen.»
«Das – das ist wirklich sehr freundlich. Herzlichen Dank. Wirklich eine großzügige Geste …»
«Nur gute Unternehmenstaktik, Rabbi. Es gehört zu meinen festen Grundsätzen, meine Leute – besonders wichtige Leute – nicht unterzubezahlen.»
«Ein sehr löblicher Grundsatz. Nochmals besten Dank.»
Er brauchte es Miriam nicht erst zu sagen, denn sie stand neben ihm und hatte mitgehört. «Das ist doch großartig, David. Du, es ist mir jetzt richtig peinlich, was ich alles über ihn gesagt habe … Denn bestimmt
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