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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
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Holzbrett setzen. Die Handschellen bleiben dran. Das Fenster in der Tür ist vergittert. Man blickt nicht raus auf die Landschaft: Vor sich hat man dieses Drahtgitter, dann kommt ein enger Durchgang, dann eine weitere Zelle, in der ein anderer mit demselben Ziel eingesperrt ist. Ich versuchte nicht in der düsteren Kabine sein Gesicht auszumachen. Ich war nicht besonders niedergeschlagen, besonders glücklich natürlich auch nicht. Ich war abwesend, sowohl für die anderen als auch für mich selber.
    Die Superhelden aus den Filmen gibt es nicht wirklich. Clark Kent wird erst zum Superman, wenn er sich sein lächerliches Kostüm übergezogen hat; Rambo spürt die Schläge auf seinen Körper nicht, aber sein Herz ist auf Stand-by; der Unsichtbare heißt in Wahrheit David McCallum, er trägt Rollis aus Lycra und einen albernen Topfhaarschnitt. Aber an mir kannte ich keine Schwachstellen. Meine Superkraft war die Unempfindlichkeit. Ich hatte die Fähigkeit, jedes unangenehme Gefühl an mir abprallen zu lassen. Es konnte gar nicht erst aufkommen, ich war eine innere Festung, ich hielt mich für uneinnehmbar. Superman und seine Kollegen, das war dummes Zeug. Trotzdem war ich davon überzeugt, dass es auf der Welt reale, wenn auch seltene Superhelden gab. Und ich war einer von ihnen.

24
    Madame Pozzo di Borgo heißt mit Vornamen Béatrice. Ich fand sie auf Anhieb sympathisch, offen, einfach, kein bisschen spröde. Ich nenn sie Madame. Das steht ihr gut, Madame.
    Madame wird bald sterben.
    Zu ihm sag ich Monsieur Pozzo. In meinem Kopf sag ich nur »der Pozzo« oder »Pozzo«. Er hat es mir heute Morgen anvertraut: Seine Frau ist krank. Eine Art Krebs. Als er vor zwei Jahren den Unfall mit dem Gleitschirm hatte, der schuld an seinem jetzigen Zustand ist, sagte man ihm, dass sich seine Lebenserwartung auf sieben, acht Jahre beschränkt. Aber Tetrapaks sind ziemlich robust: Gut möglich, dass er uns alle überlebt.
    In diesem Haus gibt es nicht die Familie auf der einen und das Personal auf der anderen Seite. Alle nehmen die Mahlzeiten gemeinsam ein. Man isst von fast normalen Tellern, ich nehme mal an, sie stammen nicht unbedingt vom Supermarkt um die Ecke, aber sie sind absolut in Ordnung, gehen sogar in die Spülmaschine. Céline, das Kindermädchen, übernimmt die Küche. Ausgezeichnet übrigens. Viel mehr verlangen die Gören nicht von ihr. Laetitia, die älteste, ist ein typisch versnobter Teenager. Sie ignoriert mich komplett, und ich versuche es ihr gleichzutun. Robert-Jean, zwölf, ist ein Muster an Verschwiegenheit. Ich weiß nicht, wer von ihnen mehr unter der Situation leidet. Für mich haben so reiche Gören keinen Grund zu leiden. Das Mädchen, diese Zicke, würde ich am liebsten durchschütteln, wann immer sie mir über den Weg läuft. Und ihr das wahre Leben zeigen, damit sie mal zwei Sekunden aufhört zu flennen, wenn es die Handtasche, die sie sich vor Wochen ausgeguckt hat, nicht mehr in Karamellbraun gibt. Für den Anfang würde ich mit ihr einen kleinen Ausflug nach Beaugrenelle unternehmen und dann weiter zu den Besetzern der leerstehenden Lagerräume, wo Junkies auf Entzug zusammen mit Familien, Gören und Babys hausen. Natürlich ohne Wasser, Heizung und Strom. Schmuddelige Matratzen direkt auf dem Boden. Ich tunke mit einem Stück Baguette meine Sauce auf. Laetitia stochert in ihrem Essen herum, lässt die halbe Rinderroulade übrig. Béatrice ermahnt sanft ihren Sohn, weil er die Zwiebelscheiben aussortiert hat. Er spielt mit ihnen, häuft sie mit der Gabelspitze am Rand seines Tellers auf. Bald wird Béatrice nicht mehr die Kraft haben, mit uns am Tisch zu sitzen. Sie wird in ihrem Bett bleiben, hier in der Wohnung oder in einer Klinik.
    Nicht zu fassen eigentlich … Was diese Aristokraten nur für Unglück anhäufen. Ich schau mich um. Die Gemälde, die Intarsienmöbel, die Empire-Kommoden mit Griffen aus Feingold, der hektargroße Garten inmitten von Paris, das Apartment … Wozu das alles, wenn man nicht mehr lebendig ist? Und warum geht mir das nahe?

    Der Pozzo leidet. Der Pozzo nimmt Schmerztabletten. Der Pozzo leidet kaum weniger. Als es ihm etwas besser geht, fahre ich mit ihm nach Beaugrenelle. Wir steigen nicht aus. Ich lasse seine Scheibe herunter, die Hand eines Kumpels schmeißt meinem Fahrgast ein kleines Päckchen auf den Schoß, wir brausen

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