Einfach Freunde
Violetta â¦Â«
Und er singt. »Gran Dio! Morir sì giovine â¦Â« *
* »GroÃer Gott! So jung sterben  ⦠« ( III . Akt, 4 . Szene)
29
Das Alter von Tetraplegikern wird wie das von Hunden berechnet: Ein Jahr zählt sieben Jahre. Philippe Pozzo di Borgo hatte seinen Unfall mit zweiundvierzig, also vor drei Jahren. Drei mal sieben macht einundzwanzig: 1996 ist er sozusagen dreiundsechzig. Dabei sieht er Methusalix, dem Alten aus Asterix â klein und verkümmert, genauso haar- wie herzlos â, kein bisschen ähnlich ⦠Der Graf sieht aus wie ein Grandseigneur und hat das Herz eines Zwanzigjährigen.
»Herr Pozzo, Sie brauchen eine Frau.«
»Eine Frau, Abdel? Meine Frau ist gestorben, vielleicht erinnerst du dich?«
»Wir werden eine andere finden. Natürlich nicht dieselbe, aber es wird besser sein als gar keine.«
»Aber die Ãrmste, was hätte sie denn an mir?«
»Sie wird sich an dem SüÃholz laben,
das Sie ihr geraspelt haben
wie Cyrano de Bergerac.«
»Na prima, Abdel! Ich sehe, dass meine Literaturstunden Früchte tragen!«
»Sie bringen mir die Literatur bei, ich bringe Ihnen das Leben bei.«
Ich lieà Freundinnen von mir kommen. Aïcha, eine vollbusige kleine Brünette, Knaller und Krankenschwester in einem, hatte die Lage sofort durchschaut. Bei ihrem ersten Besuch haben wir zusammen was getrunken. Am nächsten Tag hab ich mich verkrümelt. Am übernächsten hat sie sich aufs Bett gelegt. Aïcha und er haben ein Weilchen nebeneinander geschlafen. Aïcha wollte kein Geld und keine Geschenke. Sie interessierte sich für diesen Mann, der sich so schön ausdrücken konnte. Er machte sich nichts vor: Er würde sich nicht in sie verlieben und sie sich nicht in ihn, aber sie verbrachten ein paar angenehme Momente miteinander. Aïcha atmete gleichmäÃig neben ihm, er spürte ihren Atem, und die Wärme ihres Körpers beruhigte ihn. Es folgten noch ein paar andere, Professionelle, die froh waren, sich während der Arbeit ausruhen zu können. Ich warnte sie: »Man muss meinen Boss sanft anpacken und anständig mit ihm reden. Bevor du reinkommst, nimmst du deinen Kaugummi raus. Du bist anständig und hütest deine Zunge!«
Monsieur Pozzo erholte sich nur langsam vom Tod seiner Frau. Sehr langsam ⦠Manchmal überraschte ich ihn geistesabwesend und mit leerem Blick. Wie einer, der den menschlichen Freuden nur noch zuschaut und sie für sich selbst abgeschrieben hat. Trotz Aïcha und der berauschenden Parfüms seiner Kurzzeit-Gespielinnen ging es ihm nicht wirklich besser. Béatrice war seit Monaten nicht mehr da, Laurence hatte Urlaub, und die Kinder verkümmerten in Paris. Ich schlug eine kleine Reise vor.
»Monsieur Pozzo, Sie haben doch bestimmt eine kleine Absteige irgendwo im Süden?«
»Eine Absteige ⦠Ich weià nicht ⦠Ah doch, es gibt La Punta auf Korsika. Unsere Familie hat es vor ein paar Jahren an den Regionalrat verkauft, aber wir haben einen Turm behalten, den wir nutzen können, neben dem Familiengrab.«
»Auf einem Friedhof, das kann ja heiter werden ⦠Mehr haben Sie nicht zu bieten?«
»Nein.«
»Na dann los! Ich pack die Koffer.«
Wir sitzen zu acht im Viehtransporter (wir mussten den Tatsachen ins Auge blicken: Acht Personen passen nun mal nicht in den Jaguar). Céline und die Kinder sind natürlich mit von der Partie, aber auch Victor, ein Neffe von Monsieur Pozzo, seine Schwester Sandra und Théo, ihr Sohn. Es ist heiÃ, aber noch nicht heià genug. Wir schalten die Klimaanlage nur hin und wieder kurz ein. Niemand beklagt sich. Tetraplegiker frieren immer. Man begräbt sie unter Decken, Mützen, Wollsachen, aber es reicht nie. In Kerpape habe ich es mit eigenen Augen gesehen. Monsieur Pozzo fährt dort jeden Sommer zur Reha hin, um, wie er es nennt, seine jährliche Wartung vorzunehmen. Bei den ersten Sonnenstrahlen reihen sich die Rollstühle der Tetraplegiker am Fenster auf, alle nach Süden gerichtet, und rühren sich nicht mehr vom Fleck. Im Auto, vor den Kindern, reiÃt sich Philippe Pozzo di Borgo zusammen. Ich weiÃ, dass er noch immer um seine Frau trauert, dass er uns alle ein bisschen hasst, weil wir noch immer da sind und sie nicht mehr. Wir schwitzen, unsere Gerüche vermischen sich, aber wenigstens ist ihm nicht kalt.
Wir
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